Lindsey Vonn ist es gelungen, sich als Athletin einer Randsportart zu einem großen Namen in den USA zu vermarkten. Die Rekord-Weltcupsiegerin hat Vorschläge für die Zukunft des Skirennsports. DER STANDARD erreichte sie via Zoom in New York.

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Lindsey Vonn aus Saint Paul, Minnesota, ist Abfahrtsolympiasiegerin, sie war zweimal Weltmeisterin und gewann viermal den Gesamtweltcup. "Frauen sollten unbedingt öfter gemeinsam mit Männern fahren", sagt sie.
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STANDARD: Ist der Skisport überhaupt noch zu retten?

Vonn: Da bin ich mir nicht sicher. Viele Sportarten straucheln derzeit. Es gibt keine Zuschauer, die Einschaltquoten sinken. Für mich zählt das Skifahren zu den sichersten Sportarten während der Pandemie, weil es im Freien stattfindet.

STANDARD: Wie wird der Skirennsport in den USA wahrgenommen?

Vonn: Es ist wie überall im Sport: Die Leute denken an ihre Gesundheit, die Unterhaltung hat aktuell Nachrang. Abgesehen davon steigern sich die Leute maximal zu Olympischen Spielen rein, den Weltcup verfolgen die wenigsten.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen die Entwicklung des Skirennsports?

Vonn: Es fehlen große Stars, zumindest bei den Männern. Hirscher, Svindal und Miller sind weg. Es gibt viele unterschiedliche Sieger. Der Skisport muss überhaupt besser vermarktet werden.

STANDARD: Inwiefern?

Vonn: Die Jugend sollte besser angesprochen werden. Ich vermisse Innovation und den Austausch mit Fans. In den USA gibt es deshalb weniger Leute, die den Sport ausüben. Es wäre solch ein großer Markt, aber keiner kann den Sport hier verfolgen. Wenn heute in Werbung investiert wird, hilft das in der Zukunft.

STANDARD: Skifahren wird immer teurer. Ist es bald ein Sport der Elite?

Vonn: Meine Eltern sind beide Rechtsanwälte, und selbst ich konnte mir die Karriere kaum leisten. Der Trend zeigt, dass Nachwuchsläufer auf eine Ausbildung an einer Ski-Akademie verzichten. Stattdessen beschäftigen sie Individualtrainer. Viele Kinder betreiben denselben Aufwand, werden aber vom finanziellen Nachteil erdrückt. Der Sport muss zugänglicher werden, nicht nur in den USA.

STANDARD: Fehlt es im Weltcup auch deshalb an Diversität?

Vonn: Schon alleine ein Tagespass im Skigebiet ist sündhaft teuer, vor allem in den USA. Das hemmt uns, mehr Leute zum Sport zu bringen. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Der Skisport hat keine Priorität. Wichtiger ist, dass jeder im Leben dieselben Voraussetzungen bekommt.

STANDARD: Mit Ihrer Lindsey Vonn Foundation wollen Sie helfen.

Vonn: Es gibt Programme, die Kinder von Brennpunktschulen auf die Berge bringen und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Wenn man vor der Wahl steht, ob man lieber in Bildung oder in eine Karriere als Skiprofi investiert, ist die Entscheidung klar. Durch die Pandemie ist es schwieriger, Gelder aufzustellen. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig. Einige Stipendiaten sind sogar obdachlos geworden.

STANDARD: Auch die Austragung von Skirennen wird aufwendiger.

Vonn: Vor allem Abfahrten. Das sind die aufregendsten Rennen, aber auch die teuersten. Man kann nicht schummeln und manche Streckenteile nicht präparieren. Man könnte aber die Anzahl der Weltcuporte reduzieren, um Kosten zu senken. Und Frauen sollten unbedingt öfter gemeinsam mit Männern fahren. Dann steigen auch die Zuschauerzahlen, davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Wie beobachten Sie die vielen Verletzungen im Weltcup?

Vonn: Das war vorhersehbar.

STANDARD: Warum?

Vonn: Die Saisonvorbereitung war eingeschränkt. Trainingscamps in Südamerika und Neuseeland wurden abgesagt. Sich ausschließlich auf Gletschern auf eine Kitzbühel-Abfahrt vorzubereiten birgt Gefahren. Auch in anderen Sportarten häufen sich Verletzungen, etwa im American Football.

STANDARD: Sie sagten einmal, dass einige Ihrer Verletzungen vermeidbar gewesen wären.

Vonn: Bis heute finde ich, die schwere Verletzung bei der WM in Schladming hätte nicht sein müssen. Das Rennen wurde weit in den Nachmittag hinein verschoben. Die Verhältnisse waren inakzeptabel. Der internationale Skiverband ist häufig im Zwiespalt, weil er Rennen durchbringen muss. Wenn aber alle Top-Athleten verletzt sind, ist der Sport kaputt. Die Sicherheit der Fahrer muss Priorität haben.

STANDARD: Hadern Sie noch damit, dass Sie bereits mit 34 Jahren Ihre Karriere beenden mussten?

Vonn: Ich bin mental auch heute noch bereit, Rennen zu gewinnen. Der Körper spielt nicht mit, das ist enttäuschend. Ich hätte gerne Stenmarks Rekord von 86 Weltcupsiegen geknackt. Dass ich jetzt Rennen kommentiere und mit Läuferinnen spreche, macht es leichter zu akzeptieren, dass die Karriere vorbei ist.

STANDARD: Spüren Sie die Folgen Ihrer Verletzungen auch heute?

Vonn: Ja, ich habe ordentliche Knieschmerzen. Ich muss meine Muskulatur stärken, um das Gelenk stabil zu halten. Wenn ich nicht trainiere, wird der Schmerz heftiger. In ein paar Jahren brauche ich künstliche Gelenke.

STANDARD: Der ÖSV ist ein großer Entscheidungsträger im Skisport. Wie wird der Verband außerhalb Österreichs wahrgenommen?

Vonn: Ich muss aufpassen, was ich sage. Mit den meisten kam ich sehr gut aus. Einige sparten nicht mit Kritik. Ich kann nicht behaupten, dass sie Frauenrennen über alles lieben. Der ÖSV ist eine Macht im Wintersport, über alle Disziplinen und Geschlechter hinweg. Sie könnten aber mehr dafür tun, dass der Sport zugänglicher wird. Dem ÖSV würden junge, neue Gesichter guttun. Das gilt aber auch für viele andere Verbände.

STANDARD: Wann waren Sie das letzte Mal Skifahren?

Vonn: Vor etwa zehn Tagen. Ich war mit ein paar Freunden in Utah auf den Skiern. Jetzt hat es viel geschneit, ich hoffe, ich kann den Tiefschnee ausnutzen. (Lukas Zahrer, 28.1.2021)