Franz Adrian Wenzl (zweiter von rechts) und Kreisky im Homeoffice-Outfit.

Foto: Ingo Pertramer

"Und dann hat er geschrien / Halt jetzt den Mund / Und dann hat sie geschrien / Lass doch den Buben / Dann haben wir ganz höflich gesagt / Das ist eine Wohngegend / Und euer Kind hat einfach: ADHS!"

Das vorab aus dem Album Atlantis ausgekoppelte Stück ADHS der physisch zwischen München und Wien, also philosophisch brusttief im oberösterreichischen Zwiderwurzentum angesiedelten Rockband Kreisky um Franz Adrian Wenzl führt uns mitten hinein in die Idylle unserer Heimarbeiterbüros. Neben uns wohnen die Nachbarn seit ziemlich genau einem Jahr nicht nur am Abend. Sie wohnen seit dem Ausbruch der Skifahrerseuche den ganzen Tag lang dort! Die Wohnzimmerwand hat mittlerweile etliche Depscher vom vielen Pumpern – und auf dem Gang und im Lift regiert der tödliche Blick.

Kreisky

Dazu passend verschränken Kreisky in Ein Fall fürs Jugendamt den berühmten Fatalismusschlager Que Sera Sera von Doris Day mit dem beliebten Volkslied Wos Is Heit Fia Tog und unterfüttern das mit dem Rhythmus von Police On My Back von The Clash: "Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag / Die ganze Woche lang / Bist du ein Fall fürs Jugendamt!"

Mitunter klingt die Gitarre von Martin Max Offenhuber wie eine kranke Kuh. Ein anderes Mal quengelt sie abstrahierend im sperrigen Postpunk herum wie sonst das Nachbarkind. Oft geht der Gitarrist mit seiner ziemlich höhenlastig eingestellten Klampfe als ein Thrash-Metal-Gitarrist in die Schremsen, der mit Kate Bush ein Duett gibt.

Die Milch wird sauer

Die Rhythmusgruppe, Klaus Mitter am Schlagzeug und Lelo Brossmann am Bass, der aber laut seinen Bandkollegen als einziger Nichtoberösterreicher schon sehr gut mit den verschiedensten Bedeutungen des oberösterreichischen Begriffs "Öha!" umgehen kann, zählt zu den kräftigsten des Landes. Das braucht es auch. Vor allem dann, wenn Franz Adrian Wenzl auf einem über seine Liebe zum Progressive Rock der 1970er-Jahre entdeckten Synthesizer Töne ablässt, die die Milch der Kuh sauer werden lassen.

Man merkt es schon, inhaltlich hat sich auf dem sechsten Album der grantelnden Band wenig am Grundbedürfnis geändert, dem umfassenden Missbehagen Ausdruck zu verleihen. Dabei wurde das Album schon ein Jahr vor Corona aufgenommen, die Veröffentlichung allerdings mehrmals verschoben.

Kreisky

Abfahrt Slalom Super-G spielt nach ADHS und Jugendamt ebenfalls auf der Höhe der Zeit. Darin berichtet ein sprechunfähiger Patient vom Krankenbett aus über seine Fernseherlebnisse: "Im Fernsehen dann ein Interview / Mit einem früheren Skistar / Marcel Hirscher, denke ich / Mit so wem will ich auch nicht tauschen / Abfahrt Slalom Super-G / Das zermürbt einen doch!"

Der Albumtitel Atlantis verweist übrigens höchstens auf ein schlechtes Lied des Althippies Donovan. Als gelobtes Land ist Atlantis nämlich längst abgesoffen. Es hat sich selbst versenkt. Womit wir wieder im Homeoffice wären. Am Schluss wird es trotz Wenzls mitunter beachtlich neben der Spur liegendem Austrofred-Gesang pathetisch. Kreisky üben sich in einer Stadionrockballade: "Wenn einer sagt, was du da machst, ist der letzte Dreck – sag: Es ist mein Dreck!" Oha! (Christian Schachinger, 27.1.2021)