Seit Jahrtausenden ranken sich Mythen um den Mond und seinen Einfluss auf den Menschen. Viele davon lassen sich entkräften, doch die Wirkung auf den Schlaf ist ungeklärt.

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Es sei "zu allen Zeiten so gewesen und wird auch wohl künftighin so bleiben, dass gewisse widersinnige Dinge selbst bei Vernünftigen Eingang finden, bloß darum, weil allgemein davon gesprochen wird", schrieb Immanuel Kant 1766. Dazu zählte der deutsche Philosoph explizit den Glauben an "Einflüsse der Mondwechsel auf Tiere und Pflanzen".

Tatsächlich ranken sich um unseren Trabanten viele Mythen, die wissenschaftlichen Überprüfungen nicht standhalten: Weder macht es einen Unterschied, ob man bei Voll- oder Neumond den Friseur besucht, noch sollte man bei Gartenarbeiten auf die Mondphase achten. Ganz ohne Wirkung auf Lebewesen ist der Mond aber nicht. So orientieren sich etwa viele Meerestiere am Mondzyklus, auch nachtaktive Vögel und Fledermäuse richten ihr Jagdverhalten danach aus.

Psychologischer Effekt?

Und was ist mit uns Menschen? Besonders ein Effekt wird dem Mond auch außerhalb esoterischer Kreise vielfach nachgesagt: Er beeinflusse den Schlaf negativ, vor allem rund um den Vollmond. Unter Wissenschaftern herrscht seit Jahrzehnten Uneinigkeit darüber, ob dies tatsächlich der Fall sein könnte oder ob nicht eher psychologische Phänomene wie die selektive Wahrnehmung oder die selbsterfüllende Prophezeiung dahinterstecken.

Nun gibt es neuen Diskussionsstoff. Forscher haben den Schlafzyklus von hunderten Studienteilnehmern in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen untersucht und kommen im Fachblatt "Science Advances" zu dem Ergebnis: In den Nächten vor dem Vollmond blieben die Probanden länger wach und schliefen weniger – unabhängig davon, ob sie in Abgeschiedenheit auf dem Land oder in großen Städten lebten.

Identisches Muster

Für die Studie statteten die Wissenschafter um Horacio de la Iglesia und Leandro Casiraghi von der University of Washington in Seattle zunächst 98 Angehörige der indigenen Toba in Argentinien mit Schlaftracker-Armbändern aus und zeichneten bis zu zwei Monate lang Daten auf. Ein Teil der Probanden lebt traditionell und ohne Zugang zu Elektrizität. Eine zweite Gruppe lebt in Gemeinschaften mit begrenzter elektrischer Infrastruktur, während die übrigen Studienteilnehmer in urbanen Räumen zu Hause sind.

Die Auswertung der Schlafdaten bestätigte frühere Untersuchungen, wonach Menschen in städtischen Gebieten mit viel künstlichem Licht nächtens aktiver sind und insgesamt weniger schlafen als abgeschiedene Landbewohner. Der Vergleich machte allerdings auch ein gemeinsames Muster sichtbar: In den Nächten vor Vollmonden schliefen die Probanden aus allen drei Gruppen am wenigsten.

Im nächsten Schritt nahmen die Forscher eine ganz andere Gruppe in den Blick. Sie durchforsteten die Schlafdaten von 464 Studenten aus Seattle, die für eine andere Studie aufgezeichnet worden waren. Abermals war das Mondphasenmuster klar erkennbar, wenn auch etwas abgeschwächt: In den Nächten vor Vollmond gingen die Studenten später ins Bett und schliefen weniger.

Innere Uhr

Ein Zusammenhang mit dem Mondlicht drängt sich auf. In der zunehmenden Phase ist der Erdtrabant schon am Abendhimmel und in der ersten Nachthälfte zu sehen, die Abende vor dem Vollmond sind also besonders gut ausgeleuchtet. "Es könnte sich um eine angeborene Anpassung handeln, die es unseren Vorfahren ermöglichte, diese natürliche Abendlichtquelle zum besten Zeitpunkt zu nutzen", sagte Studienerstautor Casiraghi.

Wie aber ließe sich die Wirkung auf Stadtbewohner erklären, die von viel hellerem künstlichem Licht umgeben sind und den Vollmond oft nicht einmal bemerken? Es könnte ein Zusammenhang mit dem circadianen Rhythmus – der "inneren Uhr" – bestehen, mutmaßen die Forscher und regen an, dies in künftigen Studien genauer zu untersuchen. Psychologische Effekte schließen sie weitgehend aus, die Probanden wussten nämlich nicht, was genau untersucht werden sollte.

Und was hätte Immanuel Kant dazu gesagt? Sein Name ist heute jedenfalls nicht nur durch seine Skepsis mit dem Erdtrabanten verbunden: 1935 wurde ein Mondkrater nach ihm benannt. (David Rennert, 28. 1. 2021)