Skifahrer am Patscherkofel bei Innsbruck Mitte Jänner: Bilder wie diese sorgen für Empörung. Ist die Kritik überzogen?

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Für Skifreaks beginnt vor den Semesterferien das große Zittern: Hässliche Berichte über Partys und Corona-Cluster in Wintersportorten bringen den trotz Pandemie laufenden Liftbetrieb in Verruf, dazu kommt die Angst vor ansteckenderen Virusmutationen. Weder Kanzler noch Gesundheitsminister wollen ausschließen, dass dem weißen Rausch ein Ende gemacht wird. Bis Montag will die Regierung die Lage mit Ländern und Experten neu bewerten.

Sind Skigebiete Brutstätten des Virus? Wie viele Ansteckungen passieren in Gondeln, auf Pisten und vor Ticketschaltern tatsächlich? DER STANDARD hat bei der Gesundheitsagentur Ages, die seit Beginn der Pandemie unter anderem Clusteranalysen durchführt, nachgefragt. Die Erkenntnisse zeichnen ein anderes Bild, als es eine flüchtige Lektüre der Schlagzeilen nahelegt. Ages-Infektionsepidemiologin Daniela Schmid findet in den erhobenen Daten keine überzeugenden Hinweise, wonach das umstrittene Freizeitvergnügen – Liftfahrten, Après-Ski und Anstellen bei der Kasse eingeschlossen – ein erhöhtes Risiko birgt: "Die Clusteranalysen zeigen so gut wie keine Fälle, wo die Ansteckung während der Aktivität des Skifahrens passiert ist."

Ein einziger Fall – und der ist unsicher

In den drei Wochen vor und den drei Wochen nach dem Jahreswechsel hat die Ages zwar einige Übertragungen in diesem Setting – bereits bei einer einzigen spricht man von einem "Cluster" – identifiziert. Doch die betreffen fast alle professionelle Skifahrer, Skispringer und Langläufer, die gemeinsam auf Wettkampftour sind. Bleibt nur ein einziger Fall, der womöglich im Rahmen von Hobbyskilauf die Infektion erworben hat. Eine Frau hat in Mariensee am Wechsel vermutlich einen Bekannten angesteckt. Ob das aber auf zwei Bretteln passiert ist oder bei einer gemeinsamen Autofahrt, ist ungewiss.

Und jene Fälle, die in diesen Tagen so viel Aufsehen erregen? Auch da gelte, sagt Schmid: Die Ansteckung sei laut aktuellem Erkenntnisstand nicht auf die eigentliche Aktivität des Skifahrens zurückzuführen.

Was hinter den Clustern steckt

Im Tiroler Ort Jochberg etwa haben sich mehr als 20 Teilnehmer eines Skilehrerkurses infiziert, in 17 Fällen wurde die Virusvariante B.1.1.7 nachgewiesen. Die Menschen aus sieben EU-Ländern wohnen seit Kursbeginn im Dezember 2020 in derselben Unterkunft. Auf Basis der Information der Gesundheitsbehörde führt die Ages die Ansteckungen auf den gemeinsamen Haushalt sowie Treffen unter Freunden zurück.

Gleich 76 Infizierte hat laut Datenletztstand ein anderer international besuchter Skilehrerkurs produziert, der in Reitdorf/Flachau im Salzburger Pongau stattfand. Kursbeginn war am 10. Jänner, der erste Ansteckungsfall ist mit 20. Jänner datiert. Die Teilnehmer residierten ebenfalls im selben Wohnheim.

Auch der Cluster im Zillertaler Wintersportort Hochfügen mit bisher insgesamt 23 Fällen ist laut Interpretation der Ages nicht mit dem Skibetrieb direkt zu assoziieren. Acht Mitarbeiter der örtlichen Bergbahngesellschaft sollen sich im Dienst infiziert haben – so wie Ansteckungen auch im Alltag skiferner Unternehmen vorkommen. Zwölf Fälle sind auf Transmission im Haushalt zurückzuführen, zwei auf Freizeit/Freundetreffen.

Konkretisierung aus dem Corona-Einsatzstab in Tirol: Laut der derzeitigen Erhebungen der Behörde könnte eine Ansteckung der Bergbahn-Mitarbeiter im privaten Umfeld oder bei der Fahrt im Betriebsbus zum oder vom Arbeitsort erfolgt sein – obwohl laut eigenen Angaben alle immer FFP2-Masken getragen hätten.

Outdoor senkt das Risiko

Ob es überraschend sei, dass in den Cluster-Analysen der Ages nur ein einziger (möglicher) Fall direkt aus dem Skibetrieb aufgetaucht ist? Bei Aktivitäten, die "outdoor" stattfinden, sinke das Risiko für Virenübertragung durch Tröpfchen und Aerosole, erläutert Schmid. Beim Schlangenstehen sei eine Transmission aber nicht ganz auszuschließen: "Da muss der Nebenmann in einer relevanten Nähe seine Tröpfchen durch Niesen, Husten oder lautes Reden verbreiten."

Prädestiniert für eine Ansteckung seien – ähnlich wie in Autos – geschlossene, nicht oder nur schwer lüftbare Räume wie etwa auch Gondelkabinen, sagt Schmid, verweist aber darauf, dass die Betreiber Sicherheitskonzepte eingeführt haben sollten. Tatsächlich werden in Skigebieten nicht alle Kabinenplätze besetzt, außerdem sind FFP2-Masken Pflicht.

Bleibt die Frage, ob die Bedeutung des Skilaufs womöglich unterschätzt wird, weil es beim Nachvollziehen der Transmissionsketten Lücken gibt. Bei bis zu 60 bis 65 Prozent der Infektionsfälle sei die Quelle geklärt, wendet die Ages-Vertreterin ein: "Da lässt sich schon eine valide Aussage über dieses Setting treffen."

Nicht die ganze Realität

Eine Empfehlung an die Politik möchte Schmid aber nicht ableiten – im Gegensatz zu anderen Fachleuten. Gerald Gartlehner zählt zu jenen Experten, die für eine Schließung der Skigebiete plädieren: Dies hätte besser schon mit Start des Lockdowns passieren sollen.

Der Epidemiologe von der Donau-Uni Krems bezweifelt, dass die Ages-Daten die ganze Realität abbildeten. Ob Skifahrer bei der Befragung durch die Behörde so auskunftsfreudig seien, dass Seilbahnen als Ansteckungsort identifiziert werden können, sei fragwürdig. Es lasse sich nicht von der Hand weisen, dass zwei Meter Abstand in Gondelkabinen unmöglich sind: "Das ist ein Risiko, das wir uns nicht leisten sollten."

Der Skibetrieb lade überdies zum Umgehen von Verboten ein – siehe Urlauber, die sich per vorgegaukelten Zweitwohnsitz in Skiorten einquartiert haben. "Wer im Osten im Hochnebel festsitzt und weder Freunde noch ein Museum besuchen darf, wird den Eindruck gewinnen, dass es in den Alpentälern viel lockerer zugeht", warnt Gartlehner vor einem verhängnisvollen Signal: "Das untergräbt die Motivation, sich an Corona-Regeln zu halten." (Gerald John, 28.1.2021)