Wer heutzutage schon als Lehrerin oder Lehrer in der Klasse gestanden ist, weiß, dass es ganz anders ist als früher. Ich hätte mich als Schüler nie getraut, einem Lehrer oder einer Lehrerin eine Frage zum Privatleben zu stellen. Mich hat es also extrem überrascht, als schon in den ersten paar Tagen meine Schülerinnen und Schüler von mir alles Mögliche wissen wollten, und vor allem: „Herr B., haben Sie eine Freundin?“

Die Antwort auf diese Frage war auf der einen Seite ein eindeutiges „Nein“, auf der anderen Seite etwas komplexer. Denn die Frage, die danach immer gekommen ist – „Warum denn nicht?“ – wollte ich nicht ehrlich beantworten. Was würde passieren, dachte ich mir, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich schwul bin? Können sie selbst damit umgehen, was würde die Kollegschaft oder sogar ihre Eltern sagen? Ich fragte ein paar mir vertraute Kolleginnen und Kollegen, was sie davon hielten – fast alle haben mir davon eindeutig abgeraten.

Ein schwules Vorbild sein

Aber Schüler sind Schüler und lassen bei dem Thema nie los. In meinem zweiten Jahr an der Schule bekam ich zwei kleinere Gruppen (zu je 14 Kindern) der 4. Klassen, die ich jeden Donnerstag den ganzen Tag betreute und die ich sehr gut kennen lernen konnte. Die haben mich auch regelmäßig gefragt und da habe ich meine Entscheidung getroffen: Ich wollte es ihnen irgendwann erzählen.

Warum? Ich habe zurück an die eigene Schulzeit gedacht – da hatte ich in dem Alter noch keine schwulen Vorbilder. Obwohl ich in einem sehr liberalen Umfeld aufgewachsen bin, habe ich nicht wirklich gewusst, wie ein Schwuler ein „normales“ Leben führen könnte, da ich es selbst nie gesehen habe. Ich wollte meinen Schülerinnen und Schülern zeigen, dass es doch auch in ihrem Umfeld solche Menschen gibt. Schließlich gibt es statistisch gesehen ein paar LGBTQ-Schülerinnen und Schüler in meinen Klassen, die vielleicht noch mit dem Thema kämpfen.

Im Klassenzimmer outen? Diese Frage stellen sich queere Lehrerinnen und Lehrer.
Foto: istockphoto.com/de/portfolio/drazen_

Nur: Wie und wann mache ich das? Das Outing ist ein gewisses Risiko, deswegen wollte ich es erst spät im Schuljahr machen. Bei negativen Reaktionen hätte ich die Kinder nicht mehr lange unterrichten müssen.  Gleichzeitig wollte ich genug Zeit lassen, damit die Schülerinnen und Schüler noch Fragen stellen könnten, die ihnen vielleicht nicht sofort eingefallen wären. Da der Juni sowieso meistens mit Ausflügen und Sportwochen ausgebucht ist, entschied ich mich für die letzte Stunde im Mai. Als Bedingung nannte ich allerdings, dass die Frage nach meinem Beziehungsstatus bis dahin nicht gestellt wird – daran hielten sich die Kinder auch brav.

Um die Schülerinnen und Schüler dort abzuholen, wo sie waren, habe ich eine Geschichte aus meiner Schulzeit erzählt. Hierbei ging es um mein eigenes Coming-Out, das durch meine Ex-Freundin erfolgt ist. Die Geschichte baute ich absichtlich so auf, dass die Tatsache meiner Sexualität die Pointe gebildet hat – damit wollte ich eine ehrliche, sofortige Reaktion bewirken.

"Haben Sie einen Freund?"

Als ich in die Stunde ging, war ich ziemlich nervös. Die Schülerinnen und Schüler hatten teilweise den Termin sogar in den eigenen Kalender eingetragen, es führte also für mich kein Weg vorbei. Ich war auf ziemlich alles vorbereitet – homophobe Beleidigungen hatte ich unter den Schülerinnen und Schülern immer wieder gehört und ich wusste nicht, wie genau sie dazu stehen würden.

Auf die Reaktion, die kam, hätte ich mich aber nicht vorbereiten können. Eine Reaktion hatte ich noch nie erlebt. Alles von „Ich hab‘ es gewusst!“ über „Ich mag Sie jetzt viel mehr.“ bis „Haben Sie einen Freund? Kann ich Fotos sehen?“. Meine Bedenken und Vorurteile, sowie die meiner Kolleginnen und Kollegen wurden sofort widerlegt.

Dabei wurde für mich bewiesen, dass es sich auszahlt, den Schülerinnen und Schülern mehr zuzutrauen, als man selbst glaubt. Der Tag bleibt für mich eine der schönsten Erinnerungen an meine Zeit als Lehrer. (Alex B., 23.2.2021)

Alex B. (Pseudonym, Name der Redaktion bekannt), ist 29, und hat zwei Jahre an einer Mittelschule in Wien gearbeitet.

Weitere Beiträge im Blog