Im Gastkommentar antwortet "Skeptiker"-Mitglied, Physiker und Wissenschaftspublizist Florian Aigner auf Blogger Ortwin Rosner ("Goldenes Brett vorm Kopf" – Wenn Wissenschaft zu Sektierertum mutiert").

Es waren bemerkenswert heftige Giftpfeile, die Ortwin Rosner am 18. Jänner in seinem STANDARD-Blog abfeuerte: Von "Sektierertum" war die Rede und sogar von "Rückfall in die Barbarei". Die Attacke galt den Wiener Skeptikern, einem Verein, der sich für kritisches, rationales Denken einsetzt. Was den Germanisten und Philosophen zu diesem aggressiven Ton veranlasst hat, bleibt unklar. Trotzdem ist es wichtig, zumindest die schwersten seiner Denkfehler aufzudecken.

Ich selbst bin Mitglied des von Rosner so scharf verrissenen Vereins – der "Gesellschaft für kritisches Denken", der Wiener Regionalgruppe der internationalen Skeptikerbewegung GWUP. Wir sind wissenschaftsinteressierte Leute, die sich gegen Verschwörungstheorien, gegen esoterische Geschäftemacherei und für rationales Denken einsetzen. Wir versuchen, durch sachliche Information irrationale Ängste zu nehmen, Wissenschaft möglichst allgemeinverständlich zu erklären und dadurch faktenbasierte Diskussionen zu ermöglichen.

Wissen vermitteln und Ängste nehmen

Und weil man oft wenig zu lachen hat, wenn man immer wieder dieselben längst widerlegten Irrtümer richtigstellen muss, feiern wir unsere Arbeit einmal im Jahr mit ein bisschen Humor: Wir vergeben das "Goldene Brett vorm Kopf", den Preis für den größten antiwissenschaftlichen Unsinn des Jahres.

Im Jahr 2020 wurde Sucharit Bhakdi ausgezeichnet, der mit wissenschaftlich unhaltbaren Corona-Thesen berühmt wurde. Das hat Rosner offenbar zu seiner Attacke veranlasst. Er beginnt seine Tirade mit sprachlicher Kritik: Wir Skeptiker würden von "wissenschaftlichen Fakten" sprechen – und das sei an sich schon mal falsch. Denn "wissenschaftlich" könne keine nähere Bestimmung von "Faktum" sein, es gebe schließlich keine "unwissenschaftlichen Fakten".

Das ist Wortklauberei – und nicht einmal gute. Beklagt Rosner sich auch, wenn jemand vom "Pariser Eiffelturm" spricht? Man könnte nun Rosners Text auseinandernehmen und darin viel unschärfere Ausdrücke finden, etwa die "statistischen Kurven", von denen er schreibt – was genau soll das sein? Aber das wäre langweilig, kümmern wir uns lieber um echte Argumente.

Die Wissenschaft weiß auch nicht alles

Rosner bringt zunächst einen Gedanken, der zwar richtig, aber banal ist: Niemand kann sich jemals sicher sein, die vollkommene Wahrheit zu kennen. Und er erklärt Karl Poppers Falsifikationsprinzip: Man kann in der Naturwissenschaft niemals etwas endgültig und zweifelsfrei beweisen. Man kann Theorien höchstens widerlegen. So weit, so richtig.

Doch an dieser Stelle fragt man sich, ob Rosner überhaupt jemals mit Naturwissenschaftern gesprochen hat. Ja, selbstverständlich ist niemand im Besitz einer endgültigen Wahrheit. Wer hat jemals etwas anderes behauptet? Welches fürchterliche Zerrbild der Naturwissenschaft hat Rosner hier im Kopf?

Genau das ist doch der Kern der Naturwissenschaft: Sich ständig der Tatsache bewusst zu sein, dass man bestehende Theorien erweitern, verbessern, hinterfragen muss. Glaubt Rosner wirklich, irgendein Wissenschafter auf der Welt sei der Meinung, der heutige Stand der Wissenschaft sei nun für alle Ewigkeit die letztgültige Endversion der Wahrheit?

Rosner behauptet, wir Skeptiker würden die Wissenschaft als "Hort reiner, unumstößlicher Wahrheiten" betrachten, an denen man nicht rütteln dürfe. Das ist exakt das Gegenteil unserer Sichtweise als Vertreter des wissenschaftlichen Denkens. Genau deswegen nennen wir uns "Skeptiker". Hätte Rosner Greta Thunberg vorgeworfen, sich für mehr CO2-Ausstoß einzusetzen, oder Joe Biden dafür attackiert, ein fanatischer Republikaner zu sein, es wäre ähnlich weit weg von der Realität.

Karl Popper, falsch verstanden

Unser Unsinnspreis, das "Goldene Brett", wird ja eben gerade in Anlehnung an Karl Popper vergeben: Man bekommt es nicht, wenn man einen Fehler gemacht hat. Man bekommt es nicht, wenn man sich gegen die Mehrheitsmeinung der wissenschaftlichen Fachwelt gestellt hat. Man bekommt es, wenn man starrköpfig an Thesen festhält, die eindeutig wissenschaftlich falsifiziert wurden – ganz im Sinne Poppers. Der aktuelle Preisträger Bhakdi etwa hat behauptet, es werde keine zweite Welle geben. Dass diese Aussage klar und deutlich widerlegt wurde, könnte eigentlich auch Rosner aufgefallen sein.

Hüten muss man sich an dieser Stelle vor dem Fehler, Popper als Anwalt für unwissenschaftliche Schwurbelei zu missbrauchen: Aus der Behauptung, dass man keine Theorie endgültig beweisen könne, folgt natürlich keine völlige wissenschaftliche Beliebigkeit. Wer behauptet, wenn nichts völlig sicher sei, dann sei jede Theorie irgendwie gleich gut und dann könne man statt wissenschaftlicher Lehrbücher auch Horoskope lesen, der hat Popper nicht verstanden. Das ist eine naive Form des Falsifikationismus, die Poppers Haltung völlig widerspricht.

Auch wenn es die "absolute Wahrheit" nicht gibt, haben wir trotzdem bewährte Theorien, die sich in unzähligen Tests als nützlich erwiesen haben. Man braucht keine absolute Wahrheit, um höchst Plausibles von zuverlässig Widerlegtem unterscheiden zu können. Dafür braucht man bloß logisches Denken und Fachwissen.

Konsens und Rebellen

Wissenschaft wird niemals von oben verordnet. Wissenschaft entsteht als kooperative Zusammenarbeit unzähliger Menschen, die viele kleine Erkenntnisse hervorbringen, die zueinander passen und am Ende ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Ein stabiler Konsens, der sich auf diese Weise innerhalb der Wissenschaft herausbildet, ist das Verlässlichste, was wir Menschen haben. Diesem Konsens sollten wir mehr Vertrauen schenken als jeder Einzelmeinung – selbst dann, wenn es sich um die Einzelmeinung eines Genies handelt.

Rosner sieht das anders: Er präsentiert uns das Klischeebild des aufmüpfigen Wissenschaftsrebellen, der sich ganz alleine gegen die Obrigkeit auflehnt. "Gute Wissenschaft war zuallererst immer Häresie" behauptet er – und das ist einfach nur falsch. Offenbar hat sich Rosner weder mit Wissenschaftsgeschichte befasst noch mit der Funktionsweise des modernen Wissenschaftsbetriebs.

Sehr oft besteht wissenschaftlicher Fortschritt aus einer Abfolge kleiner Schritte. Viele wichtige Ergebnisse stehen fest auf dem Fundament der Wissenschaft, die vorher kam. Natürlich gibt es manchmal auch wissenschaftliche Revolutionen, die uns zwingen, über liebgewonnene Thesen völlig neu nachzudenken. Wie solche Revolutionen ablaufen, haben etwa Imre Lakatos und Thomas Kuhn beschrieben – auf viel hilfreichere und differenziertere Weise, als Rosner das macht. Rosners Idee, man müsse zwangsläufig erst mal verlacht werden, um später für Begeisterung zu sorgen, ist jedenfalls nicht haltbar – und demonstriert ein schockierendes Unverständnis dessen, wie Wissenschaft heute betrieben wird.

Die Naturwissenschaft ist neuen, radikalen Ideen gegenüber bemerkenswert offen. Besonders schön zeigte sich das etwa bei der sogenannten Neutrino-Anomalie des Jahres 2011: Experimente am Cern und in Gran Sasso hatten ergeben, dass sich Neutrinos schneller bewegen als das Licht – ein radikaler Verstoß gegen das wissenschaftliche Weltbild. Wurde damals jemand ausgelacht, zum Ketzer erklärt oder aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft exkommuniziert? Nein, im Gegenteil: Auf der ganzen Welt fand man die Sache interessant und diskutierte begeistert über mögliche Erklärungen.

Schließlich stellte sich heraus: Das merkwürdige Ergebnis war bloß durch ein fehlerhaftes Kabel zustande gekommen. Die Daten waren also wertlos – aber immerhin zeigte diese Episode, dass man in der modernen Naturwissenschaft selbst die fundamentalsten Grundannahmen in Zweifel ziehen darf, solange man korrekt arbeitet und sauber argumentiert.

Fehlerkorrektur ist keine Denunziation

Am Ende ergeht sich Rosners Text nur noch in allerlei Gehässigkeiten: Die "plump agierenden Science-Aktivisten" würden Abweichler "an den Pranger stellen", befindet er. Man würde ein "Klima der Denunziation" schaffen. Ob Rosner das auch seinen Mathematiklehrern vorgeworfen hat, wenn sie Fehler in seinen Schularbeiten gefunden haben?

"Denunziert" oder "an den Pranger gestellt" zu werden ist etwas völlig anderes, als auf Fehler hingewiesen zu werden. Nicht jede These hat dasselbe Maß an Respekt verdient. Alle Menschen sind gleich viel wert, aber nicht alle Meinungen. Es gibt Thesen, die auf bloßem Bauchgefühl beruhen, und es gibt Thesen, die sich logisch aus dem ergeben, was viele kluge Leute über lange Zeit durch viele Experimente und Beobachtungen herausgefunden haben. Letzteres ist wertvoller und zuverlässiger als Ersteres.

Wir Skeptiker würden nie jemanden als dumm oder gar gefährlich hinstellen, der einfach nur etwas Falsches behauptet. Jeder Mensch sagt falsche Dinge – immer wieder. Doch Rosner übersieht: Es geht hier nicht um Fehler, sondern um das starrköpfige Beharren auf Behauptungen, die längst widerlegt sind und vielen Menschen ernsten Schaden zufügen. Es geht um den Wunderheiler, der seinen Anhängern ruinös teure Heilmittel verkauft und sie davon abhält, die lebensrettende medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen. Um den Verschwörungsguru, der im Internet Lügen über Chemtrails oder schädliche 5G-Strahlung verbreitet und damit Angstzustände und ernstes psychisches Leid verursacht. Um den Politiker, der eindeutig verloren hat, sich aber trotzdem zum Wahlsieger erklärt.

Solche Faktenverdrehereien sind nicht harmlos. Sie sind gefährlich für uns alle. Und daher muss man sie manchmal auch mit harten Worten benennen. Das ist kein "Klima der Denunziation", sondern der Versuch, unsere Gesellschaft nicht ins Irrationale abgleiten zu lassen. Leider hat sich Rosner mit seinen Tiraden nicht auf die Seite des konstruktiven Diskurses gestellt, sondern auf die Seite von Esoterik und Fake-News. (Florian Aigner, 29.1.2021)