Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre haben sich bislang vor allem hochrangige ÖVP-Politiker mit Gedächtnislücken hervorgetan. Mit 86 Gedächtnisausfällen ist im Sommer Finanzminister Gernot Blümel aufgefallen; bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat ein Treffen mit dem nun flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Kanzler Kurz schnitt mit nur 29 Erinnerungslücken noch gut ab.

Am Mittwoch trat dann Bernhard Bonelli auf, Kabinettschef des Kanzlers. Er gilt als rechte Hand von Sebastian Kurz und soll sich im Kanzleramt um viele Detailfragen kümmern. Aber auch er ließ die fragestellenden Abgeordneten immer wieder ratlos zurück, laut dem roten Fraktionsführer Jan Krainer erlitt Bonelli rund 70 Gedächtnisausfälle.

Die Befragung von Bernhard Bonelli, Kabinettschef im Kanzleramt, frustrierte die Opposition spürbar. Der ehemalige Consulter konnte inhaltlich nur wenig beitragen, ihn plagten Gedächtnislücken.
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Auch die Akten helfen da nicht weiter: Dem U-Ausschuss wurden lediglich 72 E-Mails von Bonelli übermittelt. Zum Vergleich: Von Thomas Schmid, einst Generalsekretär im Finanzministerium, existieren im U-Ausschuss-Archiv über 2000 E-Mails.

Abseits des Regelprozesses

Inhaltlich brachte Bonellis Aussage nur wenige Erkenntnisse. Davon, dass im Mai 2019 "abseits des Regelprozesses" kurz vor dem Misstrauensantrag gegen Kurz im Kanzleramt Festplatten geschreddert wurden, will Bonelli erst zwei Monate später "im Urlaub" erfahren haben. Der dafür verantwortliche Mitarbeiter, Arno M., nahm die Aktion bei seiner Befragung am frühen Nachmittag voll auf seine Kappe. Er habe "helfen wollen". Mit Blümel oder Kurz selbst habe er sich vorab nicht besprochen, die hätten "Wichtigeres zu tun gehabt".

Dass er die Festplatten unter falschem Namen habe schreddern lassen – und dann die Rechnung nicht bezahlte –, sei "ein Fehler" gewesen, entschuldigte er sich. Für ihn habe es sich um "Druckerfestplatten" gehandelt.

Warum ein Mitarbeiter der Firma Reißwolf, bei der die Festplatten vernichtet wurden, in seiner Zeugenaussage von einer Laptop-Festplatte gesprochen habe, konnte M. dem Ausschuss nicht erklären.

Das Verfahren gegen ihn war nach turbulenten Ermittlungen im Frühjahr 2020 endgültig eingestellt worden. Zuerst hatte es die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) betrieben – und beklagt, dass der Polizist Niko R., ein einstiger ÖVP-Lokalpolitiker, ihre Anordnungen zur Sicherstellung von Geräten nicht durchgesetzt habe. Arno M. erzählte im U-Ausschuss, die Polizei habe ihn unter einem Vorwand kontaktiert: Angeblich soll bei ihm eingebrochen worden sein. Sein mit einem Passwort gesicherter Laptop sei von der Polizei jedenfalls nicht untersucht worden. Das Verfahren wanderte nach einer Erklärung des Kanzleramts zur Staatsanwaltschaft Wien, wofür eine in der Justizgeschichte außergewöhnliche Weisung gesorgt hatte. Diese besagte: Wenn das Bundeskanzleramt keinen Zusammenhang zwischen Schreddern und Ibiza-Video sieht, dann muss die WKStA das Verfahren abgeben. Just an dem Tag, an dem die WKStA Anordnungen zur Sicherstellung von M.s Geräten unterzeichnete, kam der entsprechende Bericht aus dem Kanzleramt. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelte dann relativ unspektakulär weiter und stellte das Verfahren ein.

Andeutungen und Gerüchte

Über den Inhalt der geschredderten Festplatten konnte auch der zuvor befragte Kabinettschef Bonelli nichts sagen. Kaum erinnerlich waren ihm auch zwei bis drei Treffen mit dem ehemaligen Novomatic-Geschäftspartner Peter Barthold, der seit Jahren im Clinch mit dem Glücksspielkonzern liegt.

Worum es da gegangen sei? "Ich kann mich nicht mehr erinnern, was genau da Thema war", antwortete Bonelli.

An der "Operation Ballhausplatz", einem Plan für die Machtübernahme durch Sebastian Kurz, will Bonelli am Rande beteiligt gewesen sein. Er habe das "in seiner Freizeit" gemacht und Inhalte beigesteuert. Mögliche Spender hätten andere Personen aus dem Umfeld von Kanzler Kurz aufgelistet.

Immer wieder beriet sich Bonelli mit seiner Vertrauensperson Lucas Weigerstorfer, der auch schon Kanzler Kurz begleitet hatte.

Am 10. Februar soll dann die für die Schredderaffäre zuständig gewesene Staatsanwältin der WKStA befragt werden. Sie hat die Korruptionsbehörde mittlerweile verlassen. Außerdem ist geplant, einen der Ibiza-Drahtzieher zu laden: Anwalt R. M., der das Budget für die Aktion bereitgestellt haben soll. (Fabian Schmid, Renate Graber, 27.1.2021)