Die Anstrengungen in der Forschung zu Sars-CoV-2 sind groß. Davon profitieren auch Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen.

Foto: afp

Weltweit forschen Wissenschafter daran, Covid-19 wirksamer zu behandeln oder eine Infektion beispielsweise mittels Impfung von vornherein zu verhindern. Das Ziel: Menschenleben retten, die Zahl der Infektionen mit Sars-CoV-2 spürbar verringern und die Entstehung noch gefährlicherer Mutationen des aktuellen Coronavirus verhindern. Dabei könnten sich ganz nebenbei auch Fortschritte bei der Bekämpfung von anderen Erkrankungen ergeben:

  • Wie Boten-RNA im Kampf gegen Krebs und Autoimmunerkrankungen helfen könnte

Die Gründer des deutschen Unternehmens Biontech, Özlem Türeci und Ŭgur Şahin, sind Onkologen. Eigentlich hatten sie sich der Forschung an Krebsimmuntherapien verschrieben – bis Sars-CoV-2 auftauchte und mit ihm die Notwendigkeit, schnellstens einen Impfstoff gegen dieses Virus zu entwickeln.

Seit ein paar Jahren arbeiten die beiden daran, eine ganz auf die molekularen Eigenschaften des Tumors jedes einzelnen Krebspatienten abgestimmte Krebsimmuntherapie zu entwickeln. Im Hinblick auf metastasierten schwarzen Hautkrebs, das Melanom, gibt es auch schon positive Studienergebnisse. Weitere Phase-1-Studien laufen, etwa zu Prostata-, Eierstock- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Im Mittelpunkt steht, vereinfacht beschrieben, eine Art Baukasten mit einem Grundmodell und vielen "Bausteinen" zum Ergänzen und Ersetzen – man nennt das mRNA-Technik-Plattform, mit der auch der Corona-Impfstoff entwickelt wurde. Die Biontech-Forscher arbeiten mit Boten-RNA, auf Englisch Messenger-RNA, deshalb kurz mRNA. Diese Boten-RNA hat eine Grundstruktur, die der Körper toleriert. Jeder mRNA-Schnipsel stellt die Bauanleitung für ein bestimmtes Eiweiß dar, das in der Zelle produziert werden soll. So sollen mit dieser Methode Tumorzellen bekämpft werden.

Die mRNA-Technik erlaubt jedoch schnelle Anpassungen und ist deshalb auch für andere Anwendungen nutzbar. Beispielsweise für die Impfstoffentwicklung.

Impfung gegen Sars-CoV-2

Deshalb war es Biontech möglich, innerhalb nur eines Jahres einen sehr gut wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln – und wahrscheinlich auch gegen künftige neuartige Viren.

Aber wie funktioniert das genau? Bei einer Impfung gegen ein Virus stellt die mRNA den Bauplan eines wichtigen Virusproteins bereit. Die Körperzellen produzieren anhand der Bauanleitung das Virusprotein. Doch keine Sorge, dieses Protein ist für den Menschen harmlos. Das Immunsystem erkennt die kleinen Mengen Virusprotein als fremd und es kommt zur Immunantwort, aber nicht zur Erkrankung. Dadurch bilden sich Gedächtniszellen, ein Pool aus spezifischen T- und B-Zellen in Lymphgewebe wie der Milz, den Lymphknoten sowie im Blut. Diese speziellen Gedächtniszellen sind Teil des immunologischen Gedächtnisses eines Menschen und stehen bei einer späteren Infektion durch das Virus sofort bereit.

  • Gegen Multiple Sklerose impfen?

Parallel arbeiteten Biontech-Forscher an einer Art Impfstoff gegen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Typ-1-Diabetes und Multiple Sklerose (MS). Diese Krankheiten haben alle etwas gemeinsam: Das Immunsystem ist fehlgeleitet und greift bestimmte körpereigene Strukturen an, etwa Proteine. Eigentlich hat unsere Immunabwehr eine ziemlich zuverlässige eingebaute Bremse, die regulatorischen T-Zellen, kurz Tregs, die genau das verhindern sollen. Aber immer wieder patzen die Tregs doch. Die Biontech-Impfung soll den Tregs neues Leben einhauchen. Dafür haben die Forscher die natürliche mRNA so verändert, dass sie nur die regulatorischen T-Zellen aktiviert. Das ist wichtig, da einerseits die "Bremse" des Immunsystems scharf gemacht werden soll, um Autoimmunreaktionen zu verhindern. Zugleich soll das übrige Immunsystem aber nicht geschwächt werden.

Die Forscher haben sich vorerst auf Multiple Sklerose fokussiert, eine chronische Erkrankung des Nervensystems. Sie arbeiten hierfür mit einem speziellen Mausmodell, das viele Aspekte der MS nachstellt. Bei MS attackiert das Immunsystem die Umhüllungen der Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark. Am Ende sind diese Nervenfasern zerstört. Die mRNA stellt die Bauanleitung für ein Protein in der Myelinhülle von Nervenfasern im Gehirn und im Rückenmark. Es ist den Forschern gelungen, die Entstehung der "MS-ähnlichen" Erkrankung in Mäusen zu unterdrücken. Bei all jenen Mäusen, die schon erkrankt waren, konnte der Impfstoff den Krankheitsverlauf mildern oder sogar rückgängig machen. Nun müssen diese Ergebnisse noch auf den Menschen übertragbar sein.

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose lobt zwar den Biontech-Ansatz, hat aber noch Zweifel daran, dass die neue Technik der mRNA-Impfung tatsächlich ohne weiteres auf Autoimmunerkrankungen wie MS übertragbar ist. So heißt es in einer Pressemitteilung: "Die Strategie, eine 'Impfung gegen MS' zu entwickeln, ist zwar charmant und wissenschaftlich ein hochwertvolles Ziel. Es fehlt aber beim Menschen nicht die richtige Labortechnik, sondern die Biologie der Entzündungsprozesse bei der MS ist ganz anders zu bewerten als bei einer Infektion." Hier ist also noch einiges zu tun.

  • Blutgerinnseln vorbeugen

Sowohl die Zahl der in den Körper eingedrungenen Viren als auch die Art, wie das Immunsystem sie bekämpft, sind entscheidend für den Verlauf einer Infektion und für die folgende Immunität. Diese Immunantwort kann aber zum Problem werden. Mitunter entstehen nämlich Antikörper gegen körpereigene Proteine statt gegen das fremde Virus. Man spricht dann von Auto-Antikörpern. Immunologen in den USA vermuten, dass dies an veränderten B-Zellen liegen könnte, also an Immunzellen, die bei einer Infektion Antikörper gegen Viren produzieren.

Ein Forscherteam unter Leitung von Tamam Bakchoul stützt die These der US-Immunologen nun mit einer im Fachmagazin Blood erschienenen Studie. Bakchoul leitet das Institut für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin der Medizinischen Fakultät Tübingen. Die Forscher haben bei Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen Auto-Antikörper gegen Blutplättchen gefunden. "Diese Auto-Antikörper aktivieren verstärkt die Blutplättchen. Das erhöht die Neigung zur Bildung kleiner Blutgerinnsel in Blutgefäßen, das heißt zu einer Thrombose", sagt Bakchoul.

Derartige Blutgerinnsel können den Blutfluss in einer Arterie, etwa in der Niere, oder in einer tiefen Beinvene stören. Ist der Blutfluss in einer Nierenarterie gestört, wird das betroffene Gewebe unzureichend durchblutet und geschädigt. Tatsächlich wurden bereits kleine Blutgerinnsel sowohl in den Nieren als auch im Gehirn als Folge einer Covid-Erkrankung entdeckt. "Wir empfehlen deshalb, die Thrombosevorbeugung nach einem Covid-19-Klinikaufenthalt zu Hause noch drei Monate lang fortzuführen", so Bakchoul. Und auch hier gilt: Die Problematik betrifft wohl nicht nur Covid-19-Patienten. "Wir glauben, dass die Auto-Antikörper nicht speziell durch Sars-CoV-2 verursacht sind, sondern auch bei anderen Infektionen, etwa durch Grippeviren, auftreten." (Gerlinde Felix, 28.1.2021)