Ob am Wochenende in der Wiener Innenstadt Sperrgitter aufgestellt werden, ist wohl noch ungewiss.

APA/Neubauer

Seit zwei Wochen mobilisiert die Szene der sogenannten "Querdenker", die sich selbst als Corona-Maßnahmen-Kritiker sehen, für das kommende Demo-Wochenende. Besonders viele Teilnehmer, bis zu 15.000, erwartete die Polizei für eine Demonstration am Sonntag, bei der sich auch FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl als Redner angesagt hatte. Doch diese wird nun, so wie 14 andere angezeigte Versammlungen, nicht stattfinden.

Alle "teils stark beworbenen Großversammlungen" wurden untersagt, heißt es seitens der Polizei. Nach Ansicht der Landespolizeidirektion Wien wäre sonst das öffentliche Wohl gefährdet. Bei einer Großdemonstration der Szene vor zwei Wochen kam es zu zig Verwaltungsübertretungen, tausende Menschen waren ohne Maske unterwegs, viele hielten den Mindestabstand nicht ein. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich danach mit dem zögerlichen Vorgehen der Wiener Polizei unzufrieden und kündigte eine Änderung der Vorgehensweise an.

Gefahren für Gesundheit

"Die durch die Abhaltung von Großversammlungen herbeigeführte Weiterverbreitung des Virus und die damit entstehenden Gefahren für die Volksgesundheit können ebenso wenig hingenommen werden wie die dadurch entstehenden Gefahren notwendiger weitergehender Beschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten", teilte die Exekutive mit.

Bei Großversammlungen mit bis zu mehreren Tausend Teilnehmern sei es zudem "notorisch, dass der verordnete Mindestabstand nicht eingehalten werden kann". Es ist also fraglich, ob künftig überhaupt große Versammlungen genehmigt werden. Nehammer kündigte bereits vor einigen Tagen eine Prüfung einer Personenobergrenze bei Versammlungen an.

FPÖ kündigte neue Kundgebung an

Ob tatsächlich keine Großveranstaltung stattfinden wird, ist jedoch fraglich. Die FPÖ kündigte kurzerhand nach Untersagung der Demonstrationen eine Anmeldung einer "politischen Kundgebung" für Sonntagnachmittag auf dem Wiener Heldenplatz an. Dort solle die Öffentlichkeit über das Thema "Demokratie, Freiheit und Grundrechte" informiert werden, hieß es seitens des freiheitlichen Parlamentsklubs.

Die Polizei wies jedenfalls in Bezug auf die untersagten Kundgebungen darauf hin, dass bei Nicht-Befolgung mit der Auflösung der Versammlung gerechnet werden müsse. Verstöße würden Geldstrafen bis 720 Euro nach sich ziehen.

ÖH Uni Wien kündigt rechtliche Schritte an

Doch nicht nur "Querdenker"-Demos, auch zwei von drei Gegenkundgebungen wurden ebenso wie eine Demonstration gegen die jüngste Novelle des Universitätsgesetzes untersagt. Eine kleine Kundgebung (mit etwa 30 Personen) unter dem Namen "Protest gegen die Unzumutbarkeit der Politik" bleibt erlaubt.

Die Bildungsdemo wurde von der ÖH Uni Wien angemeldet. Diese zeigt sich in einer dem STANDARD vorliegenden Stellungnahme empört: "Wenn wir unsere demokratischen Grundrechte nicht wahrnehmen dürfen, dann darf die Bundesregierung auch keine derartig folgenreichen Gesetzesänderung beschließen", heißt es seitens der Vorsitzenden Hannah Lea Weingartner.

Laut ÖH sei die Untersagung mit der erhöhten Gefahr durch die britische Virusmutation begründet worden. Die Veranstalter rechneten mit 2.000 Teilnehmern. Nun kündigen die Studentenvertreter an, gegen die Untersagung juristisch vorgehen zu wollen. "Es kann nicht sein, dass alle zur Arbeit gehen müssen und gleichzeitig unsere Demonstration abgesagt wird. Wir werden deshalb eine Klage gegen die Untersagung einreichen und das Ganze juristisch überprüfen lassen", sagt Vorsitz-Kollegin Zissi Fritsche.

Rechte Mobilisierung

Mobilisiert wurde in den vergangenen Tagen federführend von amtsbekannten Verschwörungsideologen mit teils guten Kontakten zur rechtsextremen Szene – diesmal aber auch bereits im Vorfeld zusätzlich mit Unterstützung von der FPÖ, der rechten Zeitung "Wochenblick" und Szenegrößen wie dem deutschen Arzt und Corona-Verharmloser Sucharit Bhakdi.

Dass die FPÖ ihre Chance wittert, die Proteste für sich zu vereinnahmen, zeigte sich schon bei der Demonstration am 16. Jänner, an der mehrere Parteifunktionäre teilnahmen. Erst am Freitag gab die FPÖ dann noch eigens eine Pressekonferenz: Verfassungssprecherin Susanne Fürst und Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer riefen zur Teilnahme an der Demo auf.

Auch der "Wochenblick" ist involviert

Von der FPÖ bereits im Vorfeld angegriffen wurde vor allem Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Immer wieder waren einschlägig bekannte rechtsextreme Gruppen und Figuren bei den Demonstrationen anwesend, zuletzt etwa auch Gottfried Küssel. Die FPÖ erkennt aber im Großteil der Teilnehmer vielmehr eine Versammlung der Zivilgesellschaft, "die sonst immer so hochgehalten wird". Offenbar wollten ohnehin mehrere FPÖ-Funktionäre teilnehmen, neben Kickl kündigten das zumindest auch Fürst und Amesbauer an.

Auch der parteinahe "Wochenblick" mobilisierte seit Wochen unter seinen 38.000 Followern auf Telegram für Corona-Demos. Auf der Homepage gibt es einen Kalender mit allen Veranstaltungen im Land. Die Krawalle in den Niederlanden in den vergangenen Tagen werden in Artikeln als "Kampf um die Freiheit" bezeichnet. Im vergangenen Jahr erhielt das Medium mehr als 30.000 Euro Corona-Sonderförderung von der Bundesregierung.

Mobilisierungskraft dürfte auch ein Video des pensionierten deutschen Arztes Sucharit Bhakdi haben: Die Bevölkerung müsse die Regierung zum Umdrehen zwingen, sagt Bhakdi, denn am Sonntag könnte die "Wende" gelingen. Er appellierte auch an Polizeibeamte zu zeigen, dass sie "anders" wären. Videos, in denen er spricht, werden auf Youtube bis zu einer Million Mal angeklickt.

Spaltung der Szene

Dieses Mal wollten nicht alle Szenegrößen gemeinsam marschieren: Ein Konflikt entzündete sich schon am Tag vor der Demo am 16. Jänner an zwei Fragen: erstens, ob man das Parlament "übernehmen" wolle, und zweitens, ob man eine eigene Partei gründen solle. Eine Gruppe rund um Jennifer Klauninger, die im September eine Regenbogenflagge auf offener Bühne zerrissen hatte, wirft nun der anderen Gruppe um den ehemaligen Kärntner Landtagsabgeordneten Martin Rutter und Hannes Brejcha, einen Bekannten des verurteilten Neonazis Gottfried Küssel, Parteihörigkeit vor. In ihren Telegram-Gruppen verschickt Klauninger ein Diagramm, das Rutter eine Nähe zu den Freimaurern attestiert. Schlussendlich wollten nun beide Seiten nichts mehr miteinander zu tun haben und nur noch getrennt voneinander demonstrieren.

Indes hat die Landespolizeidirektion verkündet, dass Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen zukünftig sogenannte Medienkontaktbeamte bereit gestellt werden, um Angriffen, wie kürzlich geschehen, vorzubeugen. (Vanessa Gaigg, Johannes Pucher, Colette M. Schmidt, 29.1.2021)