Sebastian Bohrn Mena, Initiator des Tierschutzvolksbegehrens, geht es um die Verbesserungen der Lebensbedingungen der Tiere. Das wäre ein erster Schritt in Richtung eines Sinneswandels in der Gesellschaft. Im Gastkommentar antwortet er auf den Philosophen Bernd Ladwig, dem die Forderungen des Volksbegehrens zu kurz greifen.

Das Tierschutzvolksbegehren ist beendet und bringt mit 416.229 Unterschriften nicht nur ein überraschend starkes Ergebnis, sondern führt auch zu Dynamik in der Landwirtschaftspolitik. Nur 48 Stunden nach Abschluss des Volksbegehrens legte der für Tierschutz zuständige Minister Rudolf Anschober einen Verordnungsentwurf zur verpflichtenden Transparenz bei Lebensmitteln vor. Ein Thema, das seit Jahren erfolglos diskutiert wird, hauptsächlich aufgrund der Uneinigkeit innerhalb der Volkspartei. Hier der Wirtschaftsbund als Vertreter jener, die davon profitieren, wenn Tierqual, Naturzerstörung und Bauernsterben unerkannt aufgetischt werden. Dort der Bauernbund, der ums Überleben der heimischen Landwirte kämpft und Transparenz verlangt, damit Konsumenten ihre Erzeugnisse wählen können.

Ein pragmatischer Zugang zum Tierschutz: Auch diese niedlichen Ferkel landen auf dem Teller.
Foto: Imago Images

Die hitzigen Debatten der letzten Tage und die hektischen Umtriebe im Hintergrund zeigen, dass wir der verpflichtenden Transparenz bei Lebensmitteln wohl noch nie so nah waren wie jetzt. Seit zehn Jahren wird debattiert, nun ist eine Lösung zum Greifen nahe. Das liegt nicht am plötzlichen Sinneswandel der zuständigen Politik, sondern am gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Ich kann nicht abschätzen, was am Ende des Tages im Parlament beschlossen wird und wie stark wir dafür noch trommeln müssen. Was auch immer es ist, es wird getrost als Meilenstein bezeichnet werden können, denn jeder Strahl an Helligkeit in einem System der Intransparenz legt die ganzen Ausmaße der Dunkelheit offen und führt zwangsläufig zu mehr Licht. Es ist immer der erste Schritt, der am schwierigsten ist.

Pragmatischer Ansatz

Bernd Ladwig zeigte sich kürzlich an dieser Stelle skeptisch, ob eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Nutzung von Tieren tatsächlich als Fortschritt bezeichnet werden kann. Wo doch die Abschaffung jeglicher Nutzung dieser "individuellen Lebewesen eigenen Rechts" seiner Meinung nach das sei, was wir ebendiesen schulden würden (siehe "Was wir Tieren schulden"). Nun habe ich zwar selbst vor Jahren aufgehört, Tiere zu essen, wurde von ihm aber nicht als Privatperson, sondern als Initiator des Volksbegehrens angesprochen. Das in seinen über zweieinhalb Jahren der Kampagnisierung eben keine vegane Utopie postulierte, sondern für einen pragmatischen "nächsten Schritt" warb, ganz im Sinne der von ihm kritisierten Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere.

Es gibt einen Grund, wieso wir uns für diesen Zugang entschieden haben. Und ich bin der Meinung, dass unser Weg auch keinen Widerspruch zum Streben vegan lebender Menschen darstellen muss. Denn rund 99 Prozent der Bevölkerung leben nicht vegan, und es darf bezweifelt werden, dass sie ein tierrechtliches Bewusstsein haben. Ich glaube auch, dass die sich selbst als solche bezeichnenden Tierschützer und Tierschützerinnen eine recht kleine Personengruppe darstellen. Wir sollten also bei den zahlreichen "Tierfreunden und Tierfreundinnen" ansetzen, wenn wir breitflächige Veränderung ermöglichen wollen. Dazu gehört, dass wir das Konsumverhalten von Menschen nicht bewerten, weil wir sie sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Mitwirkung an Diskursen und persönliche Weiterentwicklung verlieren. Im übertragenen, sprachbildlichen Sinne: Wir müssen Brücken bauen, statt in Ställe einzubrechen.

Scheinbarer Widerspruch

Um auf den scheinbaren Widerspruch zwischen pragmatischem Fortschritt und "radikaler" Utopie zurückzukommen und ihn aufzulösen: Das eine behindert das andere nicht, es kann sich sogar wechselseitig befördern. Ein Bauernhof mit konventioneller Schweinehaltung, der aufgrund struktureller Intransparenz bei Lebensmitteln und daraus resultierender Dominanz des importierten Billigfleisches geschlossen werden muss, kann nie ein Bio- oder Gemüsehof werden. Er ist tot, und mit ihm stirbt auch die Vitalität ländlichen Raumes und ein Stück Kulturgut. Damit kommen wir der veganen Utopie kein Stück näher, ganz im Gegenteil. Damit verstärken wir nur die Massentierhaltung, für die weder die Tiere noch die Natur und auch nicht die Menschen zählen, sondern nur der schnelle und hohe Profit.

Gemeinsame Ziele

Ich glaube nicht, dass es nur dem Tierschutzvolksbegehren, seiner mehrjährigen Arbeit für gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und Dialog und unserem starken Ergebnis trotz Lockdowns geschuldet ist, dass jetzt plötzlich so viel Bewegung in die Transparenzdebatte kommt. Aber beeinflusst haben wir sie mit Sicherheit. Und wenn es uns nun tatsächlich gelingt, dass künftig draufstehen muss, woher Lebensmittel stammen, dann ist das nicht nur ein Dienst an unseren Landwirten. Es hilft ganz unmittelbar den Tieren, der Natur und den nachfolgenden Generationen. Weil es der Anfang vom Ende des Systems Massentierhaltung sein kann. Es ist jedenfalls ein erster Schritt. Für manche zu mehr regionalem Konsum, für andere in eine vegane Welt. Wichtig ist nicht, welche Ziele wir individuell haben, sondern dass wir den Weg gemeinsam beschreiten und uns dabei nicht gegenseitig blockieren. (Sebastian Bohrn Mena, 29.1.2021)