Wann wie viel Impfstoff von Astrazeneca zur Verfügung stehen wird, ist ebenso strittig wie die Wirksamkeit bei älteren Patienten.

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Nach vorerst ergebnisarmen Gesprächen zwischen der EU-Kommission und dem Pharmakonzern Astrazeneca am Vorabend suchte Brüssel am Donnerstag im Konflikt um die Schwierigkeiten bei der Lieferung von Impfstoffen gegen das Coronavirus Auswege. Die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides erklärte, dass die Gespräche mit der Pharmafirma konstruktiv gewesen seien, die EU jedoch auf vertraglich vereinbarten Verpflichtungen beharren werde. Die mangelnde Klarheit bei den Lieferterminen bedaure sie, schrieb die Zypriotin auf Twitter. Auch ein Sprecher des britisch-schwedischen Konzerns lobte das "konstruktive und offene Gespräch". Man werde die Bemühungen fortsetzen, den Impfstoff ohne Profit bereitzustellen.

Teilveröffentlichung

Am Donnerstagabend berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf EU-Kreise, dass Astrazenecas Hausjuristen mit der Erarbeitung eines Vorschlags befasst seien: In Abstimmung mit der EU-Kommission sollen jetzt doch Vertragspassagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Angestrebt werde eine Veröffentlichung – freilich mit Schwärzungen – am Freitag, hieß es in Brüssel. Der Vertrag unterliegt, wie berichtet, der Verschwiegenheit. Konkret spießt es sich offenbar an einer "Best Effort"-Klausel – in der Astrazeneca lediglich ein "Bemühen" zugesichert habe. Während der Konzern dies auf die Impfstoffmenge bezieht, ist aus Kommissionskreisen zu erfahren, dass sich "Best Effort" auf die Entwicklung und die Zulassung beziehe und im Falle der Zulassung jedenfalls die zugesicherten Kontingente zu liefern seien. Der Freitag könnte Licht in die Sache bringen.

Unterdessen kündigte Ratspräsident Charles Michel Zwangsmaßnahmen gegen säumige Hersteller an. Sollte keine Lösung gefunden werden, werde auf Rechtsmittel zurückgegriffen. Auch Ex-EU-Mitglied Großbritannien, wo bereits große Mengen des Astrazeneca-Impfstoffs verteilt werden, pocht auf die Lieferung der bestellten Menge. "Wir wollen, dass Großbritannien all das bekommt, was geplant war", erklärte Kabinettsminister Michael Gove. Er berief sich darauf, dass London frühzeitig bestellt habe, vertröstete aber gleichzeitig die ehemaligen Partner in Brüssel: "Wir werden auch daran arbeiten, unseren Freunden in der EU zu helfen."

Exportbeschränkung

Als Konsequenz aus dem Lieferdebakel will die Kommission am Freitag einen Mechanismus vorstellen, der regeln soll, dass Exporte von Corona-Impfstoffen angemeldet und genehmigt werden müssen. Der Gesundheitssprecher der Europäischen Volkspartei machte im Ö1-"Mittagsjournal" Donald Trump als Schuldigen der Misere aus. Der vormalige US-Präsident habe mit einem Exportverbot die ursprünglichen Pläne der EU durcheinandergebracht, erklärte Peter Liese. Fehler seitens der EU ortete er lediglich darin, dass die Union versucht habe, fair gegenüber den anderen Ländern zu sein – man hätte sofort ebenfalls mit Exportverboten reagieren müssen. Grundsätzlich ortete Liese jedoch ein Fehlverhalten der Unternehmen als Auslöser für das Chaos.

Pfizer/Biontech habe zu spät über einen Umbau in der Produktion informiert. Astrazenecas Verfehlung sei hingegen viel schlimmer, man habe fadenscheinige Begründungen für die drastisch gesenkten Lieferpläne vorgebracht. Das Unternehmen sei "vertragsbrüchig", polterte der Abgeordnete: "Denen traue ich überhaupt nicht mehr."

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) soll nun am Freitagnachmittag die Genehmigung für das Vakzin Astrazenecas erteilen. Mehr als fraglich ist aber, ob die Zulassung für die Risikogruppe der Menschen ab 65 Jahren gültig sein wird. Die Stiko, Deutschlands Ständige Impfkommission, erklärte jedenfalls, den Impfstoff nur für Personen zwischen 18 und 64 Jahren zu empfehlen. Die bereits zugelassenen Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna werden bereits vor allem an ältere Risikopatienten verabreicht.

Ungarns Sonderweg

Ungarns Regierung will dem Engpass mit einem eigenen Weg begegnen: Alle Vakzine, mit denen bereits über eine Million Menschen immunisiert wurden, sollen die Zulassung erhalten, erklärte Ungarns Kanzleiminister Gergely Gulyás – insbesondere soll damit die Verimpfung der Präparate Sputnik V aus Russland und Sinopharm aus China ermöglicht werden. (Michael Vosatka, Gianluca Wallisch, 28.1.2021)