In dem Bemühen, keinen Präzedenzfall zu schaffen, nämlich dass Kinder einer Familie den Verbleib in Österreich garantieren können, wurde dennoch einer geschaffen: Wer kein Recht hat, hier zu sein, muss das Land verlassen. Im Gastkommentar widmet sich der Jurist und Universitätslektor Ralph Janík der rechtlichen Perspektive der jüngsten Abschiebungen.

Donnerstagfrüh wurde der Protest gegen die Abschiebung dreier Schülerinnen in Wien-Simmering von der Polizei aufgelöst.
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In der Nacht vom 27. auf den 28. Jänner wurden eine Georgierin und ihre zwei minderjährigen Töchter abgeschoben. Ihre Asylanträge wurden mehrfach abgewiesen, gleichzeitig waren sie seit August 2014 im Land. Die ältere Tochter hat ihre gesamte Schulzeit hier verbracht. Wie kann und soll das Recht damit umgehen?

Es ist ein Fall wie aus einem traurigen Lehrbuch. Die Fronten sind klar, die Argumente schon aus früheren Diskussionen – Stichwort Arigona Zogaj – bekannt: "Recht muss Recht bleiben" versus humanitäres Bleiberecht. Die einen warnen davor, dass solche Beispiele Schule machen und das Asylrecht aushebeln könnten. Die anderen betonen den Ausnahmecharakter einer Situation, in der ein zwölfjähriges Mädchen seit sechseinhalb Jahren hier gelebt und die Schule besucht hat.

Kein Asyl

Rechtlich ist die Sache auf den ersten Blick simpel. Eigentlich. Georgien ist kein Land, aus dem man typischerweise flieht: Es liegt auf Platz 61 beim Human Development Index (fünf Plätze hinter Bulgarien und drei Plätze vor Serbien), der Krieg mit Russland liegt über zehn Jahre zurück. Auch wenn die allgemeine Lage vor Ort gewiss besser sein könnte, steht einer Abschiebung damit grundsätzlich nichts entgegen.

Die Betroffene hatte Österreich 2012 mit ihrer älteren Tochter auch schon einmal verlassen, um etwa zwei Jahre später zurückzukehren. Viel Zeit, in der mehrere Asylanträge abgewiesen wurden, allen voran das wiederholte Vorbringen der Mutter, ihr würde in ihrer Heimat "Blutrache" drohen.

Leben im Schwebezustand

In all den Jahren lebte die Familie in einem rechtlichen Schwebezustand, also ohne regulären und dauerhaften Aufenthaltstitel. Die dahingehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verwies daher ausdrücklich darauf, dass der lange Verbleib in Österreich "nur durch die wiederholte rechtswidrige Einreise in das Bundesgebiet, die wiederholte und rechtsmissbräuchliche Stellung unbegründeter beziehungsweise unzulässiger Anträge auf internationalen Schutz sowie das beharrliche Ignorieren der Verpflichtung, das Bundesgebiet zu verlassen", zustande gekommen sei. Deshalb sei darin kein Argument zu sehen, doch noch bleiben zu können.

Doch genau hier liegt die Crux: Die Mutter hat mit ihren Kindern gewissermaßen "Fakten geschaffen". Auch wenn kein Asylgrund vorliegt und die Lage in Georgien nicht hinreichend gefährlich ist, um einer Abschiebung entgegenzustehen, bleibt ein moralisch-juristisches Argument: das Recht auf Privat- und Familienleben nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

In der Vergangenheit hatte Österreich 2008 deswegen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren verloren. Damals ging es um die Abschiebung eines 19-jährigen und mehrfach straffälligen Bulgaren, der mit sechs Jahren rechtmäßig mit seinen Eltern nach Österreich gekommen war. Die Verwurzelung im Land wog schwerer als das Interesse, ihn im Namen der Sicherheit außer Landes zu bringen.

Allein der aktuelle Fall ist anders gelagert. Zwar wurde die zwölfjährige Tochter nach all der Zeit ebenfalls aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld gerissen – was dementsprechend die Gemüter erhitzt –, aber sie war eben, wie gesagt, nicht regulär im Land. In solchen Fällen genießen Staaten mehr Spielraum.

Humanitäres Bleiberecht?

Außerdem lägen die Kinder laut Bundesverwaltungsgericht nun einmal in der Verantwortung ihrer Eltern: Sie müssen sich, so die technische Formulierung in der Entscheidung, "das Verhalten ihrer Eltern zwar nicht subjektiv vorwerfen, jedoch objektiv zurechnen lassen". Dabei sei das Kindeswohl nicht gefährdet, weil die gesamte Familie in Georgien zusammenleben könne.

Bleibt die Forderung nach einem humanitären Bleiberecht beziehungsweise einem "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen".

Allein das ist die Ausnahme von der Regel, die hier nicht zur Anwendung kam. Die Ratio für diese allgemeine Zurückhaltung scheint klar: Man will keine Präzedenzfälle schaffen, keine "Ankerkinder", die der gesamten Familie den Verbleib in Österreich garantieren können. Eltern sollen keine Anreize haben, über den Umweg ihrer Kinder ein Aufenthaltsrecht zu erzwingen – zumal die Staatsbürgerschaft nach hiesiger Rechtslage durch Vater oder Mutter weitergegeben wird und nicht, wie in den USA bekanntermaßen der Fall, durch die Geburt im Land.

Bei alledem bleibt der bittere Nachgeschmack. Ein Präzedenzfall wurde ja dennoch geschaffen, nur eben in die andere Richtung: Wer kein Recht hat, hier zu sein, muss das Land verlassen. Das gilt für Erwachsene wie auch für Kinder. Notfalls – als Ultima Ratio – droht die Abschiebung mit Polizeigewalt. (Ralph Janík, 29.1.2021)