Bei Regenwetter wurde am Donnerstagabend vor dem Innenministerium in Wien gegen die Abschiebung von Kindern demonstriert.

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Wien – Am Donnerstagabend versammelten sich bei starkem Regenwetter mehr als tausend Menschen, um in Wien gegen die Abschiebung dreier Schülerinnen in der vorhergegangenen Nacht zu demonstrieren. Auch das Vorgehen der Polizei bei den Abschiebungen in Wien- Simmering wurde lautstark kritisiert, die Rede war von "unverhältnismäßiger Polizeigewalt".

Eine der beiden Demonstrationen fand auf Aufruf von SPÖ- Jugend und Frauenorganisationen vor dem Innenministerium am Wiener Minoritenplatz statt. Unter dem Motto "Abschiebungen stoppen – Nehammer muss weg" wurde der Rücktritt von Minister Karl Nehammer (ÖVP) gefordert.

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Eine weitere Protestaktion gab es vor der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse, dazu hatte unter anderen das Bündnis Links aufgerufen, das in Wien in einigen Bezirksräten vertreten ist. Mehrere hundert Menschen wandten sich gegen die Asyl- und Abschiebepolitik der Volkspartei.

Auch ein ÖVP-Politiker äußerte sich am Abend kritisch zu den Abschiebungen. Der EU-Parlamentarier Othmar Karas twitterte, dass er wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen zutiefst betroffen sei. Kindeswohl müsse Vorrang haben, so Karas:

Günter Riegler, Stadtrat der ÖVP in Graz, forderte in einem Posting vom Donnerstag mehr "Mitmenschlichkeit".

Auf Nachfrage des STANDARD erklärt Riegler: "Hier wird das Dilemma zwischen Rechtsstaat und Mitmenschlichkeit abgehandelt. Der Rechtsstaat ist zu schützen", räumt Riegler ein, jedoch: "im Fall von Kindern, die hier geboren und bestens integriert sind braucht es aber ein Rechtsinstrument der Mitmenschlichkeit. Zudem hat mich auch der Ablauf der nächtlichen Abschiebung von Kindern als solcher persönlich tief berührt und nachdenklich gestimmt."

Wallner will mehr Spielraum für Bleiberecht

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) bedauerte in der Sendung "Vorarlberg live", dass der gesetzliche Spielraum für ein humanitäres Bleiberecht in den vergangenen Jahren zu eng geworden sei und die Länder dabei weniger mitzureden haben als früher. Bei einer "moralischen Betrachtung der Dinge" komme er jedenfalls ins Schwanken.

Anders klang da ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Er trat via Aussendung "in aller Höflichkeit" den Aussagen Van der Bellens entgegen. Er ersuchte den Bundespräsidenten, "die Unabhängigkeit der Justiz zu respektieren". Wöginger ließ das Staatsoberhaupt zudem wissen: "Wir alle müssen anerkennen, dass Behörden verpflichtet sind, rechtskräftige Entscheidungen von Gerichten zu vollziehen."

Innenminister Nehammer schlug am Freitagnachmittag in die gleiche Kerbe und verwies auf die Entscheide der unterschiedlichen Instanzen. Auch die Höchstgerichte hätten die Abschiebung ermöglicht, er würde diese als Innenminister nie overrulen, so Nehammer in einem Hintergrundgespräch. Vor der Außerlandesbringung sei geprüft worden, ob dieser etwas entgegenstehe. Die Möglichkeit eines humanitären Aufenthalt sei schon von der ersten Instanz weg geprüft worden.

Gewessler vermutet Strategie der ÖVP

Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler vermutet hinter der Linie der Türkisen unlautere Motive: "Es ist so, dass offenbar einige in der ÖVP davon überzeugt sind, dass sie diese Bilder brauchen, um Wählerstimmen zu halten, um gewählt zu werden", meinte Gewessler gegenüber "Vorarlberg live". Sie bedauerte es "extrem, dass wir keine menschliche Lösung gefunden haben".

Staatsbürgerschaft per Geburt gefordert

Auch die Debatte über ein Recht auf Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene Kinder nimmt Fahrt auf. SOS Mitmensch hat für eine entsprechende Initiative in den vergangenen drei Tagen rund 15.000 Unterschriften gesammelt, gab deren Sprecher Alexander Pollak bekannt. Der Fall der zwölfjährigen Tina und ihrer kleinen Schwester, die nach Georgien abgeschoben wurden, zeigt für Pollak, "welche katastrophalen Konsequenzen es für hier geborene Kinder haben kann, wenn sie nicht unter dem Schutz der österreichischen Staatsbürgerschaft stehen". Österreich sei in Europa beim Zugang zur Staatsbürgerschaft Schlusslicht, beklagt Pollak.

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) schrieb am Freitag in einer Aussendung, man müsse über das Thema Staatsbürgerschaft für hier geborene Kinder "ernsthaft diskutieren". Kaiser zeigt sich angesichts der Abschiebung der Schülerinnen "fassungslos, dass eine derart unmenschliche und kaltherzige Vorgangsweise in Österreich noch immer möglich ist". (ta, cms, APA, 29.1.2020)