Österreich sei immer noch "weit entfernt von einem Level sind, das der Virusausbreitung Einhalt gebietet", lautet eine Ableitung aus der aktuellen Studie.
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Ein Team von Wiener Wissenschaftern hat ein neues Berechnungsmodell entwickelt, um die Durchseuchungsrate mit dem Sars-CoV-2-Virus realistischer einschätzen zu können. Ihren Ergebnissen nach liegt sie in Österreich aktuell (Stichtag 28. Jänner) bei 7,4 Prozent – also etwas über 600.000 Personen, doch das ist nur ein Nebenprodukt der eigentlichen Untersuchungen, die im Wesentlichen auf die Ausarbeitung des Berechungsmodells hinausliefen.

Die indirekte Schätzmethode des Teams um Wissenschafter vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie der Technischen Universität (TU) Wien basiert auf einem statistischen Modell, in das eine Reihe demographischer Daten eingeflossen ist: die Altersstruktur der Bevölkerung, die altersspezifische Mortalität (ohne Covid-19), die Anzahl der Covid-19-bedingten Sterbefälle und die fallbezogene Sterblichkeitsrate, also die Covid-19-bezogenen Sterbefälle in Relation zur erhobenen Zahl der Infizierten. Veröffentlicht wurde die Studie im Fachmagazin "Plos One".

Wie gut Tests das Gesamtbild erfassen

"Bisher gibt es kaum Studien, die untersucht haben, wie effizient die Teststrategie ist. Unterschiedliche Testverfahren, asymptomatische Personen und die begrenzte Verfügbarkeit von Tests in großem Maßstab verringern die Chancen, wirklich alle Fälle zu erkennen", sagt Erstautor Miguel Sánchez-Romero von der ÖAW.

Im Fokus der Untersuchung stehen 20 Bundesstaaten der USA, für die alle verfügbaren Daten bis September 2020 ausgewertet wurden – sowohl zu den bestätigten Infektionsfällen, den Covid-Sterbefällen, aber auch zur Demografie des Landes, die etwa hinsichtlich der Altersstruktur sehr unterschiedlich ist. Selbst in Corona-Hotspots wie den US-Bundesstaaten New York und New Jersey seien bis September mit einer Rate unter 20 Prozent zu wenige Menschen infiziert gewesen, um an eine Herdenimmunität heranzukommen.

Ein weiteres, ebenfalls nicht überraschendes Ergebnis ihrer Berechnung besagt, dass mit den bisher angewandten Teststrategien bei weitem nicht alle Fälle erkannt wurden, sondern lediglich um die 60 Prozent der Fälle. Dieser Wert gelte auch für Österreich. Sánchez-Romero: "Unterschiedliche Testverfahren, asymptomatische Personen und die begrenzte Verfügbarkeit von Tests in großem Maßstab verringern die Chancen, wirklich alle Fälle zu erkennen."

Weit von Herdenimmunität entfernt

Herdenimmunität sehen die Demografen in weiter Ferne – in den genannten Hotspots und umso mehr in Österreich, "wo wir noch immer weit entfernt von einem Level sind, das der Virusausbreitung Einhalt gebietet", sagt Sánchez-Romero. Im Hinblick auf Österreich kommt das Team mit seinem Modell, wie geschrieben, auf eine aktuelle Durchseuchungsrate von rund 7,4 Prozent oder etwas über 600.000 Menschen, allerdings mit einer relativ großen Schwankungsbreite. Insofern hält Sánchez-Romero im Gespräch mit dem STANDARD auch eine Million Infektionen in Österreich für denkbar. Das ist jene Zahl, die von der Virologin Elisabeth Puchhammer (MedUni Wien) Ende vergangener Woche genannt beziehungsweise geschätzt wurde. Sie ging dabei von rund 60 Prozent asymptomatischen Fällen aus.

Das ÖAW-Team verweist darauf, dass ihre Schätzungen für verschiedene Länder sehr gut mit den Ergebnissen von Seroprävalenzstudien übereinstimmen, bei denen die Zahl der bereits Infizierten anhand von vorhandenen Antikörpern im Blut in einer Stichprobe erhoben und dann auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet wird. Solche Untersuchungen seien aber aufwendig und teuer. Die Wissenschafter sehen ihre Methode daher als Möglichkeit zur Ergänzung – ein Werkzeug, um zu überprüfen, "ob die Impfstoffstrategie funktioniert und inwiefern die Impfstoffe tatsächlich Todesfälle verhindern". (APA, red, 29. 1. 2021)