Künstliches Wesen als ideale Partnerin? Nathanael mit seiner Olimpia. Probenfoto aus "Cyborg Sandmann".

Foto: TAG-Theater / Anna Stoecher

Sie können singen, tanzen, ironische Bemerkungen machen und erkennen, wenn ihr menschliches Gegenüber traurig ist. Techno-Freaks aus dem Silicon Valley und aus Ostasien übertrumpfen sich dabei, ihre Roboter so menschengleich wie möglich erscheinen zu lassen. Je besser ihnen das gelingt, desto faszinierender ist das für uns – und desto unheimlicher.

Letztendlich bleiben sie von ihren Konstrukteuren determinierte Automaten. Die Grenzen ihrer Programmierung sind die Grenzen ihrer Welt. Die wahre Challenge ist es, die technologischen Entwicklungen auf oder in unseren biologischen Körper zu applizieren. Und damit sind wir beim Cyborg: dem Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine.

Der Begriff "Cyborg" ist ein Akronym, das aus dem englischen "cybernetical"und "organism" zusammengesetzt ist. Zumeist werden damit Menschen beschrieben, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt werden. In der Medizin ist die Verwendung von komplexer Technologie, die in den Körper implantiert wird, längst nichts Neues mehr.

Menschen mit Herzschrittmachern, Bein- oder Armprothesen, Implantaten in Augen oder Ohren (Cochlea- bzw. Retina-Implantaten) sind dem Begriff nach kybernetische Organismen. Dementsprechend gelten bereits 15 bis 20 Prozent der aktuellen Bevölkerung als Cyborgs.

Verbindung mit Geräten

Wir Menschen sind Wesen, die immer schon in einer symbiotischen Verbindung mit der uns umgebenden Technik leben. Unsere Fähigkeit, technische Geräte immer weiter zu entwickeln – vom Faustkeil bis zur kabellosen Datenübertragung –, ist ein anthropologisches Definitionsmerkmal.

Seit der Steinzeit gehen wir mit Geräten Verbindungen ein, und unsere Entwicklung hängt direkt mit der technologischen Entwicklung zusammen. Werkzeuge wie Speere, Räder, Wagen, Dampfmaschinen, Eisenbahnen, Flugzeuge sind Erweiterungen unseres Körpers und dienen dazu, die biologische Begrenzung des Körpers zu überschreiten und neue Möglichkeiten der Erschließung der Welt zu eröffnen.

Seit der digitalen Revolution sind wir in unserem Weltbezug dermaßen von Geräten abhängig, dass man den Begriff Cyborg nicht mehr auf Technologien beschränken kann, die unter der Haut implantiert werden. Längst schon haben die neuen Technologien die subkutane Anwendung erweitert und uns zu Prothesenorganismen gemacht, deren technologische Erweiterungen an der Schnittstelle zwischen dem Innen und dem Außen des Körpers angebracht werden.

Das wichtigste Gerät in diesem Zusammenhang ist das Smartphone. Indem es die schier unbegrenzten Möglichkeiten des Internets mit den Techniken von Audio- und Videofonie verbindet, eröffnet es uns ein neuartiges, noch nie da gewesenes Verhältnis zur anwesenden und zur abwesenden Welt.

Das Smartphone ist zu einer Applikation unseres Körpers geworden. Wir haben es – noch – nicht unter die Haut implementiert, aber es ist eine unverzichtbare Prothese unseres Wahrnehmungs- und Kommunikationsapparats geworden.

Automatenliebe

In dem romantischen Schauermärchen "Der Sandmann" von E. T. A. Hoffmann verliebt sich der schwärmerische Student Nathanael in den Automaten "Olimpia". Das künstliche Wesen erscheint ihm als die ideale Partnerin, und gerade ihr Mangel an Ausdrucksfähigkeit und ihre auf ein simples "Ach" reduzierten Antworten schrecken ihn nicht etwa ab, sondern befördern und bestätigen seine Liebe zu ihr.

Abgesehen von der ironischen Beschreibung des männlichen Begehrens, das gerade kein ebenbürtiges Subjekt als Gegenüber erstrebe, gibt Hoffmann in seiner Novelle eine überzeugende Beschreibung des Mechanismus der Liebe, die sich immer auch einer Projektion subjektiver Vorstellungen auf das Liebesobjekt verdankt. Dies führt zur Idealisierung des geliebten Objekts, weshalb Freud den Vorgang der Liebe mit Wahnsinn vergleicht.

Der angehende Dichter Nathanael hält zwanghaft an der Illusion fest, dass es sich bei der geliebten Olimpia trotz ihrer mechanischen Bewegungen und ihrer einfältigen Antworten um ein menschliches Wesen handelt. Als die Täuschung schließlich auffliegt, landet Nathanael im Irrenhaus.

Irritation und Verunsicherung

Der Romantiker Hoffmann erzählt davon, dass unserer Begegnung mit menschenähnlichen Automaten etwas Unheimliches anhaftet. Je mehr die Gestalt des künstlichen Wesens einem Menschen ähnelt, umso stärker reagieren wir mit Irritation und Verunsicherung. Die Psychoanalyse zieht hier eine Parallele zum romantischen Motiv des Doppelgängers, das uns in der digitalen Gegenwart in Form von Robotern in seiner technologischen Gestalt begegnet.

Heutige Roboter sind so raffiniert programmiert, dass sie durch zufällige Bewegungen des Kopfes, scheinbar unwillkürliches Blinzeln und ein komplexes System aus akustischen und visuellen Sensoren dem menschlichen Erscheinungsbild täuschend nahekommen. Je mehr die künstlichen Wesen uns Menschen ähneln, umso gruseliger wird uns zumute. Die Forschung nennt das das Uncanny-Valley-Phänomen.

Neben dem Staunen über die technologischen Möglichkeiten löst die Begegnung mit menschenähnlichen künstlichen Wesen zwei elementare Gefühle in uns aus: die Angst vor dem Tod und die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Das nährt Spekulationen über die mögliche Abschaffung des Todes mit technologischen Mitteln.

Optimierung des Menschen

Die Überwindung des Menschen in seiner bisherigen Form ist das Ziel des Transhumanismus. In loser Anknüpfung an Nietzsches Utopie des "Übermenschen", die von der Überwindung des Leidens und des Schmerzes, der moralischen Verkommenheit und der körperlichen Verletzbarkeit philosophiert, erträumen die Transhumanist*innen eine Optimierung des Menschen durch Wissenschaft. Sie gehen davon aus, dass die nächste Evolutionsstufe der Menschheit durch die Fusion mit Technologie erreicht wird.

Die vollständige Ersetzung unserer sterblichen "Hülle" durch unverrottbares technologisches Material ist in dieser Denkweise der logische nächste Schritt. Warum sollten die medizinischen und technologischen Möglichkeiten nicht einmal derart weiterentwickelt werden, dass wir unser Bewusstsein auf ein anderes Trägermedium als unseren vergänglichen Körper hochladen können?

Geist und Körper

Derzeit scheitern solche Ambitionen nicht nur an der Frage, wie unser komplexes Denken deckungsgleich mit digitaler künstlicher Intelligenz werden kann. Es ist die unauflösbare Verschmelzung von Geist und Körper, von Intelligenz und von Sinneswahrnehmung, von Gefühlen und Informationen, die alle bisherigen Versuche in diese Richtung scheitern lässt.

Doch es gibt bereits heute Kryoniker*innen, die sich kurz vor ihrem Tod einfrieren lassen, um in unbestimmter Zukunft, wenn die Übertragung des menschlichen Bewusstseins auf ein neues Speichermedium machbar sein wird, wieder aufgetaut zu werden. Rund 400 schockgefrorene Menschen liegen in den USA und Russland bei minus 196 im "Kälteschlaf" und warten darauf, in der Zukunft wieder aufgetaut zu werden.

In dystopischen Romanen und Filmen treffen wir auf Maschinenwesen, die sich irgendwann aus der Bestimmung durch die Programmierung befreien, um einen eigenen Willen oder Gefühle zu entwickeln. Wir trauen Maschinenwesen tendenziell zu, sich irgendwann gegen uns Menschen zu richten und uns mit ihrer technologischen Überlegenheit unterdrücken oder vernichten zu wollen.

Eine solche etwa im Cyberpunk beliebte Dynamik muss als künstlerische Parabel auf unser menschliches Verhalten gelesen werden. Ein von Menschen programmiertes künstliches Wesen wird sich nicht gegen die Menschen erheben. Wir müssen deshalb nicht vor den Maschinen Angst haben, sondern immer nur vor den Menschen, die diese Maschinen programmieren.

Antennenmenschen

Grenzgänger: Bernd Liepold- Mosser.
Foto: privat

In ihrem Cyborg Manifesto aus dem Jahr 1985 entwirft die feministische Philosophin Donna Haraway die Utopie einer Überwindung der Grenzziehung zwischen "Mensch" und "Tier" sowie "Mensch" und "Maschine". Das eröffnete in ihren Augen auch die Chance, die traditionelle Binarität der Geschlechter aufzulösen.

An der Kunstuniversität von Barcelona arbeitet eine Gruppe von Studierenden daran, ihre Körper zu Cyborgs umzubauen. Eine Frau lässt sich Sensoren in den Schädel implantieren, um weltweit Erdbeben zu erspüren, eine andere hat Magnetimplantate im Ohr, um damit neue Hör- und Spürsinne zu entwickeln.

Die Kunststudent*innen verstehen sich als Teil einer Avantgarde, die an einer Erweiterung unserer Spezies arbeitet. Einer von ihnen, Neil Harbisson, trägt eine Antennenkamera auf seinem Kopf, mit der er, ursprünglich als farbenblind geboren, nun Farben hören kann. Er hat 2010 die Cyborg Foundation gegründet, eine internationale Stiftung, die die Rechte von Cyborgs verteidigt und Menschen unterstützt, die Cyborgs werden wollen.

Einen Erfolg hat er bereits erzielt: Seine über den Scheitel bis vor die Stirn ragende Antenne wird als Teil seiner Persönlichkeit anerkannt und ist auf seinem Reisepassbild dokumentiert. Er hat durchgesetzt, dass er mit der Antenne durch die Sicherheitskontrollen auf den Flughäfen kommt und nicht mehr gezwungen werden kann, diese abzunehmen. Was ohnehin nicht möglich ist, weil sie in seinen Schädel implantiert ist. (Bernd Liepold-Mosser, 31.1.2021)