Jana Pfenning (im Bild rechts) studiert in Berlin und hat für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament gearbeitet. Rita Maglio (im Bild links) studiert in Potsdam und arbeitet nebenbei am Institut für Europäische Politik.

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Die Lobby der Frauen ist zu klein oder nicht vorhanden – auch darum tut sich bei Verhütungsmitteln für Männer nur wenig.

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Die Studentinnen Jana Pfenning und Rita Maglio haben die Kampagne "Better Birth Control" ins Leben gerufen, weil, wie sie sagen, "das Thema Verhütung keine Interessenvertretungen oder Lobbygruppen hat". Im Gespräch erklärt Jana Pfenning, warum sich in diesem Bereich dringend etwas ändern muss.

STANDARD: Was kritisieren Sie?

Pfenning: Die meisten jungen Menschen stört der Ist-Zustand in puncto Verhütung. Für viele Frauen funktioniert hormonelle Verhütung gut, für andere überhaupt nicht. Immer mehr setzen etwa die Pille aufgrund von Nebenwirkungen ab. Männer hingegen haben, abgesehen von Kondom und Vasektomie, keine Möglichkeiten. Dabei wär es ja auch für sie ein riesiger Freiheitsgewinn, wenn sie mehr Optionen hätten, zu verhüten. Sie können dadurch selbstbestimmter in ihrer Reproduktion sein.

STANDARD: Wollen Männer mehr Verantwortung beim Thema Verhütung übernehmen?

Pfenning: Ja. Es gibt Umfragen, die das klar bestätigen. Sie ärgern sich, dass es für sie zum Kondom keine Alternative gibt.

STANDARD: Warum geschieht auf diesem Gebiet nicht mehr?

Pfenning: Es wurde bereits zu Verhütungsmethoden für Männern geforscht, etwa an einem Verhütungsgel, einer Hormonspritze oder einem sogenannten Samenleiterventil. Dennoch hat es bisher kein Produkt auf den breiten Markt geschafft. Die Forschung an sicheren Verhütungsmitteln, etwa durch klinische Studien, ist sehr teuer. Das Interesse der Pharmaindustrie, diese Forschung voranzutreiben, ist gering. Sie unterschätzt das Interesse der Männer und den Absatzmarkt. Außerdem ist die Pille für die Frau, mit der derzeit großteils verhütet wird, für die Pharmaindustrie ja ein gutes Produkt mit großem Absatz. Millionen Frauen kaufen dieses Medikament regelmäßig alle drei oder sechs Monate. Das ist ein sehr lukratives Geschäft. Und auch sonst fehlt es meistens an monetären Mitteln, das Samenleiterventil ist ein gutes Beispiel dafür.

STANDARD: Wie funktioniert es?

Pfenning: Es wird in die Samenleiter im Hodensack implantiert. Der Eingriff dauert etwa 30 Minuten und ist mit einer normalen Vasektomie vergleichbar, die Risiken sind gering. In geschlossenem Zustand leitet das Ventil die Spermien aus dem Samenleiter ab, sodass sie nicht mehr ins Ejakulat gelangen. Der Träger kann diesen Zustand selbst herbeiführen, indem er das Ventil von außen durch die Haut des Hodensacks öffnet oder schließt. Nach dem Öffnen des Ventils ist die erneute Fruchtbarkeit umgehend wiederhergestellt. Der Schweizer Clemens Bimek hat das Samenleiterventil erfunden und sucht aktuell mit einer Crowdfundingkampagne Investoren, um eine klinische Studie zu finanzieren.

STANDARD: Könnte sich das durchsetzen?

Pfenning: Auf jeden Fall. Allerdings ist klar, dass es für die Forschung und Entwicklung neuer Verhütungsmittel für den Mann wirklich viel Geld braucht. Die Politik oder große Pharmaunternehmen müssten aufspringen. Mit Spenden alleine ist hier leider nicht viel zu machen.

STANDARD: Die Zeugungsfähigkeit des Mannes wird gesellschaftlich noch immer als Potenz- und Machtinstrument angesehen. Ist sie mehr wert als die der Frau?

Pfenning: Gesellschaftlich gesehen ist das leider so. Es gibt große Stigmata zu Verhütungsmitteln für Männer. Wir sehen das auch in der Rückmeldung auf unsere Kampagne. Es gibt immer wieder Männer, die sich alleine durch unsere Forderung für mehr Gleichberechtigung angegriffen fühlen. Die denken sofort an Zwangs-Kastration oder -Sterilisation oder befürchten, dass, wenn sie einen Orgasmus haben, kein Ejakulat mehr kommt. Das sind teilweise ganz abstruse Debatten und Befürchtungen. Ich denke aber dennoch, dass hier ein gesellschaftlicher Wandel möglich ist. Denn als die Pille in den 1960er-Jahren auf den Markt kam, gab es die gleichen Debatten und Rollenbilder – damals war die Gebärfähigkeit und Fruchtbarkeit der Frau noch bedeutender als die Potenz des Mannes. Sollte nun ein Verhütungsmittel für den Mann kommen, würde es bestimmt eine Zeitlang dauern, bis es gemeinhin akzeptiert wird. Aber es ist möglich.

STANDARD: Immer wieder wurden Studien zu Verhütungsmitteln an Männern wegen Nebenwirkungen abgebrochen. Frauen, die hormonell verhüten, mussten diese allerdings oft hinnehmen – und tun es bis heute.

Pfenning: Das stimmt. Allerdings waren das andere Zeiten. Die Zulassung der Pille für die Frau in den 1960er-Jahren war mit nur wenigen Sicherheitskriterien verbunden, heute gelten in der Forschung strengere Vorgaben – Nebenwirkungen und Risiken werden nicht mehr leichtfertig in Kauf genommen. Wenn man also heute die Pille für die Frau auf den Markt bringen würde, wäre das sicherlich auch mit größeren Hürden verbunden. Allerdings bin ich schon auch davon überzeugt, dass bei den Nebenwirkungen zwischen Männern und Frauen mit zweierlei Maß gemessen wird. Von Frauen wird gemeinhin gefordert, dass sie mehr ertragen.

STANDARD: Sind die Menschen zu schlecht über Verhütung aufgeklärt?

Pfenning: Ja, viele kennen ihre verschiedenen Optionen nicht. Auch Risiken und Nebenwirkungen sind vielen nicht bewusst – das muss sich ändern. Ganz viele Frauen schreiben uns, dass sie mit 14 oder 15 Jahren die Pille verschrieben bekamen, ohne zu wissen, was das bedeutet und was das mit einem Körper macht.

STANDARD: Sind Sie gegen die Pille?

Pfenning: Nein, überhaupt nicht. Verhütung ist individuell und funktioniert für jeden Menschen anders. So ist es auch mit der Pille. Wir bewerten Verhütungsmethoden nicht, sondern möchten einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu dieser Thematik anregen.

STANDARD: Wer ist für diese Aufklärung zuständig?

Pfenning: Das muss ein politisches Anliegen sein. Die Politik sollte dafür sorgen, dass Ärztinnen und Ärzte in diesem Bereich besser aufklären. Aber natürlich geht das auch die Pharmaindustrie sowie Medizinerinnen und Mediziner selbst etwas an. Auch Schulen und Eltern tragen diesbezüglich Verantwortung.

STANDARD: Sie kritisieren, dass es zu wenig Forschung zu Nebenwirkungen weiblicher Verhütungsmittel gibt. Warum ist das so?

Pfenning: Die Lobby der Frauen ist hier vermutlich zu klein oder nicht vorhanden. Auch in Pharmaunternehmen sitzen vielfach eher Männer in Führungspositionen, die natürlich auch in ihrem Interesse entscheiden. Diese Tendenzen gibt es in vielen Unternehmen, aber in dieser Branche sind die Konsequenzen davon viel schwerwiegender, weil es um die Gesundheit geht, um die Gesundheit von Frauen. Und, wie gesagt, das vorhandene System mit der Pille für die Frau bringt den Pharmaunternehmen ja viel Geld.

STANDARD: Warum sollten Krankenkassen die Kosten für Verhütung übernehmen?

Pfenning: Das ist total essenziell, denn Verhütung sollte für jeden Menschen zugänglich sein und darf auf keinen Fall von finanziellen Aspekten abhängig sein oder gar daran scheitern. Hinzukommt, dass in vielen heterosexuellen Beziehungen die Frauen häufig die Kosten für Verhütung tragen, weil sie es sind, die das Verhütungsmittel konsumieren. Eine Kostenübernahme wäre daher auch ein Schritt für mehr Gleichberechtigung. (Bernadette Redl, 1.2.2021)