Arlo Parks hat einen guten Tag – sie kann's nur nicht so zeigen.

Foto: Pias records / Cummings

Dann und wann lacht sie doch. Aber auf der Mehrheit der Fotos, die Google für den Suchbegriff "Arlo Parks" ausspuckt, sieht man eine nachdenklich bis spaßbremsig dreinschauende junge Frau. Arlo Parks ist der Künstlername der Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho. Die 20-jährige Britin gilt seit letztem Jahr als eine der großen Newcomerinnen von der Insel – bloß dass Corona fast alles zunichtegemacht hat, was normalerweise notwendig ist, um derlei wiederkehrende Behauptungen vor der Welt zu beweisen: Tourneen wurden abgesagt, die Albumveröffentlichung verschoben.

Irgendwie passt das zu einer Künstlerin, die sich nachdenklich gibt und in Interviews stets auf eine Pubertät hinweist, in der ihr alles seltsam vorkam und bedrohlich erschien, die großen Fragen ungelöst und die eigene Identität ein Rätsel blieben – also eigentlich alles ganz normal war.

Lebenshilfe suchte und fand sie in der Musik von Bands wie The Cure, beim Hip-Hopper D’Angelo, bei Tricky oder A Tribe Called Quest. Man darf sich den Teenager Parks als geschmacklich fluides Emo-Kind vorstellen; auch nicht weiter ungewöhnlich.

Sexuell flüssig

Typen wie King Krule – ein britischer Musiker mit Hängeschultern und ungesundem Teint – ermunterten sie, sich einen Künstlernamen zuzulegen. Androgyn sollte er sein, denn Parks beschreibt sich als bisexuell. Also zuerst lesbisch, jetzt bi. Offenbar ist das ganz wichtig. Die sexuelle Orientierung(slosigkeit) wird langsam zum fixen Bestandteil bei der Zielgruppendefinition im Pop – die Kunst allein scheint nicht zu reichen. Oft verspricht eine online verbreitete, sexuell flüssige Orientierung als biografischer Höhepunkt mehr Spannung als die Musik selbst – möglicherweise ist da der Wurm drinnen.

ArloParksVEVO

Trotz des von Corona weitgehend verhinderten Karrierejahres kann sich Parks über 2020 nicht wirklich beschweren. Ihre 2019 erschienene Debütsingle Cola fand in einer TV-Serie Verwendung, Kolleginnen wie Billie Eilish oder Phoebe Bridgers bekannten sich als glühende Fans – wie zufällig heißt ein früher Song von Parks Super Sad Generation: ein Titel wie ein Versprechen.

Dementsprechend klingt die Musik von Parks: Mit schmollendem Mund unter einer Regenwolke vorgetragen, könnte man sie in der Lade des Dream-Pop verräumen. Dorthin, wo eine Hope Sandoval Schlaftabletten und Regentage zählt und ihre Schwermut mit der Waage misst. Doch Parks Musik beleiht als Gefühlsbeschleuniger Hip-Hop. Zu gemütlichen Beats trägt sie ihre Texte vor.

Surfer in London

Deren Poesie ist zwischen Tagebucheintrag und Orientierungslyrik angesiedelt, behandelt die kleinen und großen Fragezeichen und Niederlagen des Alltags Heranwachsender. Ein Lied wie For Violet schleppt sich gar nur mit Mühe über die Distanz, eines wie Hurt beweist, dass Parks selbst im Erregungszustand nicht den Ruhepulsbereich verlässt, zu kuschelig hat sie sich eingerichtet. Immer wieder trägt sie einzelne Textzeilen ohne Musik vor, so als würden sie dann bedeutender.

Das am Freitag erschienene Album eröffnet sie mit einem kleinen Gedicht – was es nach dem Auftritt der Poetin Amanda Gorman bei Joe Bidens Amtseinführung gewissermaßen auf die Höhe der Zeit hebt, allein von Gormans Optimismus hat Parks nicht viel. Das Collapsed in Sunbeams betitelte Debüt ist in den besten Momenten gefällig, die Strecken dazwischen sind melancholisches Füllmaterial. Wäre Jack Johnson kein Surfer aus dem sonnigen Hawaii, sondern im Londoner Nebel aufgewachsen – die Welt wüsste seit 20 Jahren, wie Arlo Parks klingt. (Karl Fluch, 30.1.2021)