Drozda über Aussagen der Kultur-Staatssekretärin: "Ich bin entsetzt über die Diskussion, dass vielleicht nur 80 Prozent der Kulturinstitutionen überleben werden."

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Das Weltmuseum ist wie alle anderen heimischen Museen geschlossen. Hier treffen wir den SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda für unser wöchentliches StandArt-Gespräch.

STANDARD: Diese Woche wurde eine Studie der europäischen Verwertungsgesellschaften veröffentlicht. Sie beziffert den Verlust im Kultursektor im Jahr 2000 auf 199 Milliarden Euro. Angesichts dieser Summe: Wird das Kulturleben nach der Pandemie ähnlich aussehen wie zuvor?

Drozda: Diese Studie hat beklemmende Ergebnisse zutage gebracht. Wenn man weiß, welche Wahrnehmung in Österreich der Tourismus hat und welche Wahrnehmung die Zulieferbetriebe der Automobilindustrie haben, und sieht, dass beide Bereiche weniger Verluste gemacht haben, dann ist das Problem evident: Die Kultur findet in Österreich nicht die Resonanz, die sie international hat. Nur wenn man sie nicht mit Almosen abspeist, wird das Kulturleben nach der Pandemie ähnlich aussehen wie zuvor.

STANDARD: Die Regierung hat bisher 250 Millionen für die Kultur in die Hand genommen. Da kann man nicht von Almosen sprechen.

Drozda: Die Hilfen greifen zu kurz. Sie zielen auf Institutionen ab. Alles, was kam, kam zu spät. Es gibt eine Förderlandschaft, die man nur als Dschungel bezeichnen kann. Und am Ende gibt es immer noch einige, die durch die Finger schauen. Mein Ansatz wäre gewesen, den Künstlern ein Grundeinkommen zu garantieren und den Institutionen einen Umsatzersatz, der sich an dem bemisst, was sie in den letzten Jahren eingenommen haben. Ich bin entsetzt, dass man stattdessen vonseiten der Kulturpolitik eine Diskussion führt, dass vielleicht nur 80 Prozent der Kulturinstitutionen überleben werden und eine Kündigungswelle zu rollen hat.

STANDARD: Sie beziehen sich auf ein "Kurier"-Interview. Darin hat die Kunststaatssekretärin eine größere Kündigungswelle ausgeschlossen.

Drozda: Ihre Aufgabe ist, das Thema Kündigungen gar nicht in den Mund zu nehmen. Es geht darum, Optimismus zu verbreiten und zu sagen: Wir werden für jede einzelne Künstlerin und jeden einzelnen Künstler kämpfen.

STANDARD: Geht das nicht an der Realität vorbei? An Künstler wurden bisher bereits 80 Millionen ausgeschüttet.

Drozda: Das Problem ist: Kommt das Geld am Ende an? Ich begreife mich als Lobbyist für Kunst und Kultur, und als solcher kann ich keine Diskussion darüber führen, ob 80 Prozent der Kulturbetriebe überleben oder nicht.

STANDARD: Der Chef der größten heimischen Verwertungsgesellschaft geht davon aus, dass die Kultur erst in drei bis vier Jahren wieder auf dem Niveau von 2019 sein wird. Bis dahin soll die Politik die Kultur durchfinanzieren?

Drozda: Ja, Sie verstehen mich richtig. Es geht darum, die Kreativszene nicht nur durchzufinanzieren, sondern ihre Kreativität auch zu nutzen. Sich zu überlegen, wie wir die Institutionen, die eine weltweite Reputation haben, in einer Situation, wo keine Touristen nach Österreich kommen, in der Digitalisierung unterstützen. Es braucht eine Staatsoper und ein KHM 4.0! In einer solchen Situation sollte man nicht die Kunstvermittler verabschieden, wir brauchen sie!

STANDARD: Selbst wenn viel Geld in Digitalisierungsprojekte fließt, kann das den Livemoment nicht ersetzen.

Drozda: Die darstellende Kunst lebt in der Tat davon, dass man lebende Menschen auf der Bühne erlebt. Es geht nicht darum, den analogen Raum in den digitalen zu transformieren, sondern sich zu überlegen, was im Digitalen funktioniert und wie ich den Transformationsprozess von Institutionen unterstützen kann. Was die Staatsoper zum Beispiel macht, ist großartig. Ich wünschte mir einen Bruchteil dieser Kreativität auch für die heimische Kulturpolitik.

STANDARD: Am Burgtheater passiert nicht viel.

Drozda: Ich will die einzelnen Institutionen nicht gegeneinander ausspielen. Mit Transformationsprozessen sehen sich alle konfrontiert, auch die bildende Kunst. Die Museumslandschaft wird sich radikal verändern. Die Quoten ständig steigern zu wollen, dieses Konzept ist an ein Ende gekommen. Das wird in Zukunft weder aus ökologischen noch aus touristischen Gründen machbar sein. Wir müssen uns fragen, wo wir das KHM oder andere Institutionen im Jahr 2025 sehen und wie wir da hinkommen.

STANDARD: Zur kurzfristigeren Perspektive: Sie haben vor der Verlängerung des Lockdowns einen realistischen Fahrplan zur Wiedereröffnung gefordert. Wie könnte dieser aussehen?

Drozda: Erstens einmal: Es darf keine Schlechterstellung von Kunst und Kultur geben. Man erlaubt Skilehrerausbildungen, aber tut gleichzeitig so, als ob ein Theaterbesuch ein großes Risiko darstellte. Wir wissen, dass dem nicht so ist. Zweitens: Selbstverständlich haben alle Regeln, die anderswo gelten, auch bei der Kultur zu gelten. Es gibt hervorragende Sicherheitskonzepte, die sich bewährt haben. Jetzt wird schon wieder mit erhobenem Zeigefinger verkündet, dass man ganz langsam, ganz behutsam aufmachen müsse und dass dann Mama und Papa um 20 Uhr zu Hause sein müssten. Das ist das Dümmste, was man machen kann. Es gibt keine Evidenz, dass es im Kulturbereich zu Clusterbildungen gekommen ist oder dass die Ansteckungsgefahr nach 20 Uhr größer ist als vorher.

STANDARD: Die meisten Fragezeichen gibt es rund ums Freitesten: Im November forderten Sie noch Tests bei einem Kulturbesuch, im Jänner sind Sie wieder davon abgerückt. Warum dieser Zickzackkurs?

Drozda: Wenn es funktionierende Hygienekonzepte gibt, muss nicht getestet werden. Aber wenn ich vor der Wahl stehe, ob man überhaupt in den kommenden Monaten aufsperren kann, und der Preis dafür Tests sind, dann bin ich dafür. Allerdings müssen die Tests so organisiert werden, dass sie am Ende für das Publikum nicht prohibitiv werden.

STANDARD: Wie sollen solche niederschwelligen Tests funktionieren?

Drozda: Es gibt bereits eine ganze Menge Möglichkeiten, sich selbst zu testen. Wenn man das mit digitalen Lösungen verbindet und sich dabei registriert, kann man einen QR-Code bekommen, den man beim Eintritt vorzeigt.

STANDARD: Was macht Sie so sicher, dass die Leute überhaupt kommen? Die eingangs zitierte Studie sagt, dass derzeit nur 32 Prozent der Menschen ins Theater gingen.

Drozda: Es kann natürlich sein, dass es nur verhalten wieder losgehen wird. Aber ich bin sicher, dass ein attraktives Angebot auch zur entsprechenden Nachfrage führt. Es ist wichtig für den Kulturbetrieb zu sagen: Wir leben noch, und wir wollen wieder spielen! Und: Wir stellen kein Sicherheitsrisiko dar. Die Diskussion kreist derzeit nur um Letzteres. Als ob nicht längst das Gegenteil bewiesen wäre. (Stephan Hilpold 31.1.2021)