Der Impfstoff aus Russland wird in alle Welt geliefert, auch nach Bolivien.

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Mit der Zulassung für Astra Zeneca von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) auf dem europäischen Markt ist die Entwicklung und Erprobung des Covid-Präparats AZD1222 nicht abgeschlossen. Denn die bislang nachgewiesene Wirksamkeit von etwas mehr als 70 Prozent liegt deutlich unter den Werten der Konkurrenz. Trotz der politischen Differenzen zwischen London und Moskau könnte Hilfe nun ausgerechnet aus Russland kommen.

Der Grund: Das britisch-schwedische Vakzin AZD1222 und das russische Sputnik V basieren auf der gleichen Vektortechnologie: Ein für den Menschen harmloses Adenovirus wird als Träger für das gentechnisch beschnittene Coronavirus verwendet, um die Immunreaktion auszulösen und Antikörper zu produzieren, ohne die für den Körper gefährliche Vermehrung von Sars-Cov-2 selbst zu ermöglichen.

Im Gegensatz zu den Wissenschaftern aus Oxford, die als Träger einen Adenovirus verwenden, der bei Schimpansen auftritt und bei den Tieren Erkältungen auslöst, setzt Moskau auf zwei unterschiedliche humane Adenoviren – und hat damit eine deutlich höhere Effizienz erzielt.

Nun testen Forscher in Oxford, ob sich die beiden Wirkstoffe miteinander kombinieren lassen. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung wurde bereits zum Jahresende getroffen. Von russischer Seite wurde das Interesse an der Zusammenarbeit zuletzt nochmals bekräftigt.

Russlands Interesse an Kooperation

Die Impfkampagne in Russland läuft auf vollen Touren: Am 18. Jänner hat die Massenimpfung im Land begonnen, das heißt, das nun alle Alters- und Bevölkerungsgruppen Anspruch darauf haben. Die zunächst geltenden Beschränkungen für über 60-Jährige sind schon Ende Dezember gefallen.

Fast zwei Millionen Russen sind laut Gesundheitsministerium geimpft. Bis Ende Jänner würden sieben Millionen Dosen für die Zweifachimpfung bereitstehen, rapportierte zudem Industrieminister Denis Manturow. "Die Industrie arbeitet mit einem Planvorsprung bei der Produktion der Präparate", konstatierte Präsident Wladimir Putin zufrieden.

Bis Juni sollen 70 Millionen Russen geimpft werden, verkündete er und versprach, dass die entsprechende Anzahl an Impfdosen zur Verfügung stehen werde. Laut Plan sollen im Februar bereits elf Millionen Dosen produziert werden, im März sogar schon 15 Millionen Dosen. Notfalls könnte die Produktion sogar noch erhöht werden, Russland sei in jedem Fall Selbstversorger bei den Impfstoffen und nicht auf den Import ausländischer Stoffe angewiesen, so Manturow.

Kreml mit Effizienz zufrieden

Auch mit der Effizienz von Sputnik V, dem weltweit ersten zugelassenen Covid-Präparat, ist der Kreml zufrieden: Das Gamaleja-Institut, das den Wirkstoff entwickelt hat, teilte mit, dass sich die Effizienz 100 Prozent annähere. Bei der humoralen Immunreaktion, die Sputnik V hervorrufe, liege der Wirkungsgrad bei 98 Prozent, die Immunreaktion auf Zellenebene "strebt gen 100 Prozent", so die leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin Darja Jegorowa.

Neben Sputnik V haben die Russen inzwischen zwei weitere Impfstoffe herausgebracht. Das Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie "Vektor" hat einen Eiweißcocktail unter dem Namen Epivakcorona erstellt, der im Februar in Umlauf kommen soll. Das Forschungsinstitut Tschumakow wiederum hat einen auf abgetöteten Viren basierenden Impfstoff entwickelt, der laut Premier Michail Mischustin ebenfalls "in den nächsten Monaten" verimpft wird.

Nowitschok-Entwickler auch unter den Impfstoffforschern

Wer auf ganz besondere Empfindungen steht, der wartet auf das Covid-Präparat Immofon. Dahinter steht nämlich mit Leonid Rink einer der Entwickler des chemischen Kampfstoffs Nowitschok.

Angesichts der Erfolgsmeldungen lässt sich nur schwer nachvollziehen, warum die Sputnik-Hersteller mit Astra Zeneca kooperieren – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn auch Russland kann von der Zusammenarbeit profitieren. Zum einen rufen die offiziellen Zahlen weiterhin Zweifel hervor. So hat die kremlkritische "Nowaja Gaseta" beim Vergleich der landesweiten Statistik mit den regionalen Daten einen gewaltigen Unterschied festgestellt.

Laut den regionalen Angaben wurde nämlich nur ein Viertel bis ein Fünftel der von der Regierung genannten zwei Millionen Menschen geimpft. Die Differenz könnte durch die davon nicht erfasste Impfung von Soldaten und Angehörigen der Sicherheitsorgane geringer sein, aber aufgelöst wird sie nicht.

Skepsis gegenüber schönen Zahlen

Darüber hinaus gelten auch die genannten Produktionskapazitäten in Fachkreisen als optimistisch. Bekannt ist, dass Putin selbst im Herbst noch über mangelnde Kapazitäten klagte und daher unter anderem Frankreich eine Zusammenarbeit anbot. Dass Russland so schnell die Anzahl der Bioreaktoren vervielfacht hat, ist zumindest zweifelhaft.

Und auch rund um den Wirkungsgrad von Sputnik V gibt es noch Fragezeichen. Auffällig war zumindest schon, dass die Entwickler immer dann ihre Angaben verbesserten, wenn die Konkurrenz aus Pfizer/Biontech oder Moderna ihre Zahlen vorlegten.

Aus dieser Intransparenz ergibt sich der zweite Grund: Das Image von Sputnik V im Ausland ist nicht einwandfrei. Gerade im Westen, wo es ohnehin Vorbehalte gegen die russische Führung gibt, ist auch das Misstrauen gegenüber dem vom Kreml im Sommer aus reinen PR-Gründen voreilig zugelassenen Impfstoff groß. In den Entwicklungsländern sind die Vorbehalte geringer. Mit Ländern wie Indien und Iran hat Russland bereits Partnerschaftsabkommen.

Reputationsschub

Mit Astra Zeneca als Partner kann Sputnik V auf einen Reputationsschub hoffen. Es wäre gewissermaßen die Anerkennung, dass der Impfstoff funktioniert. Das würde dem Umsatz noch einmal einen gewaltigen Auftrieb geben. Gerade in Europa. So hat Russland am Freitag der Europäischen Union angeboten, bis zum Sommer 100 Millionen Dosen von Sputnik V zu liefern, sollte die EMA das Vakzin registrieren.

Ob der Impfstoff dann möglicherweise in Europa selbst produziert wird, blieb zunächst offen. Moskau betont, dass die Vakzinierung der eigenen Bevölkerung Vorrang habe. In jedem Fall haben die Sputnik-Hersteller in der vergangenen Woche bereits den Zulassungsantrag innerhalb der EU gestellt. Die Hoffnung ist, dass die Zusammenarbeit mit Astra Zeneca die Zulassung des Medikaments beschleunigt.

Rückendeckung aus Berlin

Rückendeckung für die Zulassung holten sich die Produzenten daneben auch in Berlin. So teilte der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cituchek, auf der Bundespressekonferenz mit, "die russischen Kollegen regulatorisch schon beraten" zu haben. Putin hatte bereits vor einer Woche auch mit Kanzlerin Angela Merkel dazu telefoniert.

Laut dem Chef des an der Impfstoffentwicklung beteiligten Russischen Fonds für Direktinvestitionen, Kirill Dmitrijew, prätendiert Sputnik V auf 25 Prozent des globalen Markts für Corona-Impfstoffe. Dieser wird auf ein Volumen von 100 Milliarden Dollar geschätzt. (André Ballin aus Moskau, 29.1.2021)