Den Großen nehmen und den Kleinen geben: Ob Robin Hoods Strategie im Gamestop-Spiel aufgeht, ist fraglich. Die gleichnamige Plattform ist unter Druck.

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"Während der Finanzkrise von 2008 war ich Teenager. Ich kann mich lebhaft an die enormen Auswirkungen der rücksichtslosen Aktionen der Typen in der Wall Street auf das Leben der Menschen, die mir nahestehen, erinnern." So beschreibt User u/ssauronn in einem Kommentar bei r/WallStreetBets sein Motiv, warum er bei der gerade laufenden Gamestop-Zockerei dabei ist.

Junge Anleger wie u/ssauron haben in den vergangenen Tagen massiv Aktien von Gamestop gekauft. Das hat den Kurs der Aktie verteuert, und zwar extrem. Im Juli des Vorjahrs kosteten Gamestop-Aktien knapp vier Dollar pro Stück, das Geschäft des US-Spielverkäufers dümpelte dahin. Am Donnerstag lag der Schlusskurs bei knapp 194 Dollar. Das Geschäft von Gamestop dümpelt aber noch immer dahin. Die Lage wurde durch die Corona-Krise für den Spiele-Händler nicht leichter – im Gegenteil.

Deals mit Leerverkäufen

Zugegriffen haben die Anleger aber nicht, weil sie plötzlich an Gamestop glauben oder weil das Unternehmen eine Strategie verlautbart hat, die auf Wachstum schließen lassen würde: Nein – hier tobt ein anderer Kampf.

Gamestop hatte erkannt, dass es mit dem stationären Handel nicht gut läuft und vergangenen Herbst Experten an Bord geholt, um seine Online-Verkaufsschiene auszubauen. Damals wird wohl der erste Hedgefonds der Meinung gewesen sein, dass er an diese Strategie nicht glaubt, und hat sich gegen die Aktie gestellt.

In der Finanzwelt heißt das, dass gegen diese Aktie gewettet wird. Die Aktie wird von diesem Hedgefonds verkauft, obwohl er diese gar nicht besitzt. Diese wird von einem anderen Marktteilnehmer ausgeborgt in der Hoffnung, die Aktie am Markt billiger zurückkaufen zu können. Die Differenz (siehe Wissen unten) streicht der Hedgefonds als Gewinn ein.

Gut vernetzt

Die Hedgefonds haben ihre Rechnung dieses Mal aber ohne User wie u/ssauron gemacht, die sich über die Social-Media-Plattform Reddit austauschen. Im Reddit-Game-Stop-Chat tummeln sich mittlerweile rund drei Millionen Nutzer, und viele von ihnen haben Aktien gekauft. Steigt der Kurs der Aktie nämlich, wird das Geschäft für die Hedgefonds zum Verlust, weil sie die geborgten Aktien am Markt nicht billiger, sondern teurer nachkaufen müssen.

Gamestop hat plötzlich Oberwasser bekommen.
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Im Fall von Gamestop haben Hedgefonds schon in den sehr sauren Apfel beißen müssen. Allein der Hedgefonds Melvin Capital verlor in den vergangenen Tagen rund 30 Prozent seines Kapitals und musste mit Zuschüssen von Partnern von mehr als 2,75 Milliarden Dollar am Leben gehalten werden.

Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Große Akteure am Finanzmarkt werden in die Knie gezwungen, und das von jungen, kleinen Privatanlegern. So lässt sich die Geschichte freilich gut erzählen. Ein virtuelles "Occupy Wall Street" findet gerade statt. Die Hedgefonds geschlagen mit ihren eigenen Waffen.

Zwei Seiten

Doch wie immer hat jede Geschichte zwei Seiten. "Es ist fraglich, ob allen Kleinanlegern das große Risiko bewusst ist, dass sie gerade eingehen", sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Unicredit Bank Austria. Denn der hohe Aktienkurs von Gamestop ist von den Fundamentaldaten des Unternehmens in keiner Weise gedeckt.

Erwartet wird, dass Gamestop im Jahr 2023 die Gewinnzone erreicht. Auch dann wird ein Kurs von 190 US-Dollar nicht halten. Es besteht also die Gefahr, dass viele, die jetzt in das Zockerspiel eingestiegen sind, schon in wenigen Tagen auf völlig überteuerten Aktien sitzenbleiben und Verluste einfahren.

Derzeit ist das vielen Beteiligten offenbar noch egal. Zu verlockend scheint es, dabei zu sein, wenn die großen Investoren in die Knie gezwungen werden. Zu stark sind noch die Erinnerungen an die Finanzkrise, in der die großen Banken gerettet und die Häuser vieler Menschen zwangsversteigert wurden.

Wem wird am Ende geholfen?

Geht es um die Frage, wer am Ende gerettet wird, wird die Geschichte rasch politisch. Einen Hedgefonds zu retten ist nicht gerade populär – schon gar nicht, wenn in Zeiten der Pandemie die Arbeitslosigkeit steigt, die Wirtschaft darnieder liegt und die Menschen um ihre Zukunft bangen. Wie teuer es wird, ein Institut nicht zu retten, hat wiederum der Fall der US-Investmentbank Lehman Brothers gezeigt.

Unter Druck kommen mittlerweile auch die Handelsplattformen Robinhood, Trader Republic und Co, über die sehr viele Gamestop-Trades gelaufen sind. "Robinhood hat zuletzt Käufe von Gamestop ausgesetzt, weil das eigene Kapital knapp wurde", sagt Rosen-Philipp.

Plattformbetreiber brauchen immer ein gewisses Kapital, das bei Clearinghäusern vorgehalten werden muss, falls ein Trade schiefläuft. Dass Anleger dann keinen vollen Spielraum mehr hatten, kam nicht gut an, da damit wieder "die Kleinen" benachteiligt sind. Eine strengere Regulierung der Plattformen wird bereits gefordert.

Auch die US-Börsenaufsicht SEC hat sich mittlerweile eingeschaltet und will die Vorgänge prüfen. Der zukünftige Vorsitzende des Bankenausschusses im Senat, Sherrod Brown, kündigte Anhörungen "zum Zustand des Aktienmarktes" an. Die Rechnung, wer am Ende gewonnen haben wird, ist also noch offen. (Bettina Pfluger, 30.1.2021)