Aus ökonomischer Perspektive sollte eine Schulöffnung oberste Priorität haben, sagen Ulrike Famira-Mühlberger und Julia Bock-Schappelwein vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo).

Das deutsche Ifo-Institut berechnet bei Schulschließungen bis Ende Februar einen Verlust von 4,5 Prozent beim Lebenseinkommen der Schulkinder.
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Mit den Schulschließungen im Zuge der Covid-19-Pandemie wurden das Alltagsleben und der Lernalltag aller Schulkinder in Österreich auf den Kopf gestellt. Der erste Lockdown Mitte März 2020 verursachte innerhalb weniger Tage nicht nur den höchsten Rückgang der unselbstständigen Beschäftigung seit fast 70 Jahren und ein Rekordniveau der Arbeitslosigkeit, dem durch die massive Inanspruchnahme der Covid-19-Kurzarbeit entgegengewirkt wurde. Innerhalb weniger Stunden und Tage wurde zudem beschlossen, dass der reguläre Unterricht (und die Betreuung im Kindergarten) an Schulen flächendeckend auszusetzen und auf Distance-Learning sowie auf Notbetreuung für Kinder mit Eltern in systemrelevanten Bereichen umzustellen ist.

Wir haben klare Evidenz dafür, dass Bildung gesellschaftlichen Wohlstand schafft. Die Corona-Krise dämpft nicht nur den Wohlstand heute aufgrund der Rezession, sondern wird aufgrund der langandauernden Schulschließungen auch den Wohlstand der Kinder sowie der gesamten Gesellschaft in Zukunft reduzieren. Das deutsche Ifo-Institut berechnet bei Schulschließungen bis Ende Februar einen Verlust von 4,5 Prozent beim Lebenseinkommen der Schulkinder. Auch wenn äquivalente rezente Berechnungen für Österreich nicht vorliegen, sind die Berechnungen für Deutschland eine Richtschnur.

Weniger Lernzeit

Erst im Mai 2020 konnten die Schulkinder wieder sukzessive an die Schulen zurückkehren. Im November wurde erneut auf Homeschooling umgestellt, diesmal aber mit flächendeckenden Betreuungsmöglichkeiten in den Schulen. Zusammengerechnet waren die Schulkinder im laufenden Semester fast die Hälfte der Zeit im Homeschooling oder in der Betreuung. Auswirkungen auf die effektive Lernzeit sind anzunehmen, ebenso Über- aber auch Unterforderung. Eine Zeiterhebungsstudie von deutschen Schulkindern zeigt eine Reduktion der täglichen Lernzeit um 50 Prozent – mit stärkeren Reduktionen bei lernschwachen Kindern.

Zugleich haben viele Kinder wohl einen Boost ihrer digitalen Kompetenzen erlebt – Teile des Unterrichts wurden nach vielfachen Anfangsschwierigkeiten ins Internet verlegt, die Kommunikation erfolgt über digitale Kanäle. Eine Studie an niederländischen Schulen zeigt jedoch, dass trotz Digitalunterrichts der Lernverlust enorm ist: Nach acht Wochen Schulschließung und Umstieg auf Digitalunterricht zeigte sich in den Abschlussprüfungen ein Lernverlust von 20 Prozent.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es geht nicht ohne entsprechende technische und bauliche Infrastruktur und das soziale Umfeld. Dazu kommt, dass Schulkinder im Homeschooling oftmals nicht die gleiche Unterstützung durch ihre Lehrkräfte wie im Präsenzunterricht erhalten können. Die Bildungsforschung zeigt jedoch, dass Lehrkräfte zentrale Einflussfaktoren für den Bildungserfolg sind.

Weitere Polarisierung

Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Kompetenzniveaus durch das Homeschooling verschlechtert haben, insbesondere bei Schulkindern, die zu Hause nur unzureichende Unterstützung erfahren können. Dies führt zu einer weiteren Polarisierung im Kompetenzerwerb. Es besteht die Gefahr, dass die Zahl an Kindern und Jugendlichen, die keine ausreichenden Basiskompetenzen aufbauen, dadurch zunehmen wird. Schulschließungen treffen Kinder ungleich, insbesondere jüngere sowie sozial benachteiligte und lernschwache Kinder sind stärker betroffen. Jüngere Kinder deshalb, weil Lernfähigkeiten vorwiegend im frühkindlichen Alter geprägt werden, weshalb bildungspolitische Maßnahmen im frühkindlichen Alter am effektivsten sind und – umgekehrt – Schulschließungen die stärksten negativen Effekte haben. Vor allem für Volksschulkinder ist der Erwerb der Basiskompetenzen der Grundstein für den weiteren Kompetenzerwerb und Schulerfolg.

Aus den unmittelbaren Lerneinbußen ergeben sich langfristige Konsequenzen. Es gibt Evidenz dafür, dass Menschen mit unzureichenden Basiskompetenzen und Grundqualifikationen ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko haben sowie ein höheres Risiko, frühzeitig aus dem Erwerbsprozess auszuscheiden. Ebenso lukrieren Personen mit geringen Basiskompetenzen wesentlich geringere Einkommen als höher qualifizierte Arbeitskräfte. Studien über die Effekte von langen Lehrkräftestreiks in Belgien in den 1990er-Jahren beziehungsweise verkürzte Schuljahre in Deutschland in den 1960er-Jahren zeigen die Einkommensverluste durch Unterrichtsausfall über die gesamte Arbeitskarriere der Betroffenen.

Schulbetrieb aufnehmen

Da absehbar ist, dass sich die Covid-19-Pandemie noch länger hinziehen wird, braucht es jetzt dringend Konzepte, wie eine Rückkehr in die Schule – vor allem für benachteiligte Schulkinder – möglich sein könnte. Mund-Nasen-Schutz, verstärkte und kontrollierte Hygiene, Abstandsregeln, Lüftungskonzepte und vor allem regelmäßige und häufige Tests von Schulkindern und Lehrkräften werden wohl wichtige Teile der Konzepte sein müssen. Aus ökonomischer Perspektive ist jedenfalls festzuhalten, dass eine Schulöffnung oberste Priorität haben sollte. Bildung heute ist die Chance unserer Kinder und der Wohlstand der Gesellschaft von morgen. (Ulrike Famira-Mühlberger, Julia Bock-Schappelwein, 30.1.2021)