Im Gastkommentar ärgert sich der Mathe-Nachhilfelehrer Rainer Saurugg über mangelhaften Unterricht sowie schwere Schularbeiten im Corona-Krisen-Schuljahr, und er verrät, was Nachhilfelehrer ins Schwitzen bringt.

Eine automatische Wiederholung des Schuljahres lehnt Minister Faßmann ab. Er setzt nach den Semesterferien auf mehr Förderangebote in den Schulen.
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Um als Nachhilfelehrer viel arbeiten zu dürfen, braucht es keine Pandemie. Ein veraltetes Schulsystem ohne ernstgemeinte Förderung reicht völlig.

Natürlich war das Sommersemester 2020 eine einmalige Ausnahmesituation für alle Beteiligten. Das Schuljahr wurde irgendwie zu Ende gebracht, wobei die Stoffvermittlung nicht wirklich Priorität hatte. Ziel war nur die Leistungsbeurteilung. Diese Ausnahmesituation wurde im aktuellen Wintersemester beinahe zum Standard: Das neu erlernte Distance-Learning war nun das Gebot der Stunde. Doch wie soll so ein System-, ja ein Paradigmenwechsel funktionieren? Das möchte ich im Folgenden als Nachhilfelehrer mit Schwerpunkt AHS-Oberstufe beschreiben.

Wenig Engagement

Der weitverbreitete, lehrerzentrierte Frontalunterricht im Gymnasium soll in den wenigen Mathematikstunden den Schülern und Schülerinnen zig Fähigkeiten (oder besser: Kompetenzen) vermitteln: rechnen, verstehen, beurteilen, entscheiden, deuten und interpretieren. Auch ohne Pandemie geht sich das vorne und hinten nicht aus, und von ernstgemeinter Förderung fehlt jede Spur. Dieser zumeist von wenig Engagement geprägte Unterricht wird durch MS Teams nicht besser. Nur in der Mathematik wird aus minus mal minus plus.

Zum einen gibt es Verbesserungsbedarf seitens der Lehrkräfte in puncto Online-Unterricht. Zum anderen bringt es der großen Masse der Schüler und Schülerinnen rein gar nichts, wenn sie im Rahmen einer neuen und bis dato nie geförderten Selbstständigkeit "sich selbst in Mathe was anschauen sollen".

Was setzt dem Ganzen nun die Krone auf? Natürlich die Schularbeit, die einzige im ganzen Wintersemester. Ich bin immer wieder erstaunt, wie manche Lehrer und Lehrerinnen auf die Idee kommen, das gleiche hohe Niveau bei dieser Schularbeit einzufordern, als hätte es nie ein solch holpriges Corona-Semester gegeben. Natürlich gilt es gewisse Standards einzuhalten, aber ich muss als Lehrkraft auch die (Nicht-)Möglichkeiten des eigenen Unterrichts bei der Erstellung der Schularbeit reflektieren.

Zeit "abgesessen"

Bildungsminister Heinz Faßmann möchte nun 200 Millionen Euro in Fördermaßnahmen investieren, um Bildungsdefizite auszugleichen. Auch sei dieses Jahr kein verlorenes Jahr, so seine Worte. Ich möchte in diesem ganzen Bildungs- und Förderungstheater auf zwei Punkte hinweisen:

Erstens sollten wir auch über den Unterricht an sich sprechen und nicht nur ans "Reparieren" denken. In meiner Wahrnehmung wurde die Zeit des Distance-Learnings eher als eine Art "Stand-by-Learning" genutzt. Man verharrte unverhältnismäßig lange beim gleichen Kapitel und gondelte von einem textlastigen Typ-zwei-Beispiel zum anderen.

Natürlich könnte jetzt positiv betrachtet werden, dass quasi endlich Zeit für eine Vertiefung gegeben wäre. Als Kenner der Mathematik-Oberstufe an der AHS muss ich leider kritisieren, dass hier die Zeit bis zum erhofften Präsenzunterricht eher "abgesessen" und nicht für das wirklich Wichtige genutzt wurde. Das wäre nämlich der klare Fokus auf die fundamentalen Grundkompetenzen für die Matura. Das ist genau das, wofür ich als Nachhilfedienstleister bezahlt werde: das Sicherstellen der "Basics", damit Schularbeiten und Matura positiv bestanden werden können! Und gerade im Pandemienotfallmodus könnte man einfach auf die verschnörkelten Vertiefungsbeispiele verzichten und die Zeit woanders besser investieren.

Zweitens muss uns klar sein, dass die bereitgestellten Fördermillionen nur den Status quo offenlegen: nämlich dass es keine echte Förderung im Regelschulbetrieb gibt. Das, was als Förderstunde typischerweise kurz vor der Schularbeit zum Einsatz kommt, ist leider nur eine gutgemeinte Extramathestunde. Und diese wird von den Schülern und Schülerinnen auch als solche wahrgenommen.

Eine Chance

Rein rechnerisch könnten es nun bis zu zwei Förderstunden pro Woche werden, und die Schule hätte Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Schwerpunktsetzung. Doch eine ernstgemeinte Fördereinheit muss außerhalb des normalen Unterrichts erfolgen. Sprich: durch eine andere, eine externe Lehrkraft, die den Schüler, die Schülerin neutral und unvoreingenommen unterstützt. Dafür wäre jetzt endlich einmal die Chance gekommen. Genau das ist es, warum auf Nachhilfelehrer und -lehrerinnen zurückgegriffen wird: Einerseits, weil es viel zu wenig innerschulische Fördermöglichkeiten gibt, und andererseits, weil sich Schüler und Schülerinnen bei den eigenen Lehrern und Lehrerinnen nicht trauen, den Mund aufzumachen.

Wiederholen lassen?

Wie sollen wir nun mit diesem Corona-Schuljahr weiter umgehen? Dieser Frage hat sich auch die Volksschullehrerin Susanne Wiesinger gewidmet. Sie plädierte vor kurzem für das Wiederholen des ganzen Schuljahres, und zwar von einer Vielzahl der Kinder. Defizite müssten aufgeholt werden. Das Zudecken dieser Defizite sei keine Milde, sondern einfach Vernachlässigung, so ihre Worte. Ich kann diese Aussage durchaus nachvollziehen. Jedenfalls fehlt mir aber der bildungspolitische Optimismus eines Paul Kimberger, nach dessen Meinung vieles mit einer intensiven Förderung im Sommersemester repariert werden könne.

Natürlich habe ich mir bei manchen meiner Schüler und Schülerinnen auch den Kopf zerbrochen, ob der geschenkte Aufstieg mit dem "Corona-Fünfer" wirklich sinnvoll war. Klar ist: Sollte abermals ein mildes Durchwinken erfolgen, dann sitzen auch Schüler und Schülerinnen in der Oberstufe, denen es vorne und hinten an Grundlagenwissen mangelt. Und dann gerät auch der Nachhilfelehrer ins Schwitzen! (Rainer Saurugg, 31.1.2021)