Man mag den Grünen dabei nicht mehr zuhören. Diese plötzliche Empörung, als hätten sie nicht gewusst, worauf sie sich einlassen. Diese Betroffenheit, als wären sie nicht selbst Teil jener Regierung, deren Handlungen sie kritisieren. Der Innenminister, ein strammer Türkiser, ließ mitten im Lockdown drei Mädchen und ihre Familien abschieben. Vom Vizekanzler abwärts bemühten sich alle namhaften Vertreter der Grünen, die Außerlandesbringung zu verhindern. Gebracht hat das: nichts. "Unmenschlich!", rufen die Grünen jetzt.

Man möchte den Grünen auch nicht mehr zuschauen, wie sie sich demütigen lassen. Laufend werden sie von ihrem übermächtigen Koalitionspartner vorgeführt, und sie tragen das mit einer Fassung, die selbst viele Grüne fassungslos macht. Die ÖVP kann Message-Control, sie stellt einen Kanzler, der ein politischer Vollprofi ist. Die Türkisen beherrschen das Geschäft, kennen die Tricks. Und die Grünen gehen daneben ein – wie eine Pflanze, die ein Jahr lang immer ein bisschen zu viel gegossen wurde, die zwar noch blüht, aber an den Wurzeln zu schimmeln beginnt. "Was sollen wir denn machen?", fragen sie hilflos.

Die Grünen haben ein Jahr Koalition hinter sich.
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Man darf den Grünen aber ruhig ihren Koalitionspartner vorhalten. Natürlich sind sie gegen Abschiebungen, für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria, für einen menschlichen Umgang mit allen. Die ÖVP vertritt das Gegenteil, das ist schon klar. Aber jeder wusste, wofür die Volkspartei steht. Das kann man gut finden oder schlecht, überrascht sein muss wirklich niemand. "Das Beste aus beiden Welten", erklärte Sebastian Kurz, als er die Einigung mit dem dritten Koalitionspartner seines Lebens verkündete. Er meinte damit: Ihr Grünen, ihr könnt das Klima schützen, und wir, wir schützen die Grenzen. "Das Beste aus beiden Welten", wiederholten die Grünen fromm.

Menschenrechtsfragen

Man muss die Grünen nicht schlechter darstellen, als sie sind. Natürlich bemühen sie sich, selbstverständlich versuchen sie zu überzeugen. Aber die Grünen sollen bitte ehrlich sein: Sie wollen diese Koalition nicht beenden – und die Regierungsbeteiligung, das 1-2-3-Ticket, eine ökosoziale Steuerreform, all die versprochenen Umweltmaßnahmen haben einen hohen Preis. Der lautet bis heute: In Menschenrechtsfragen haben die Grünen nichts zu sagen, da können sie noch so laut bitzeln und schreien. Sie haben es ja nicht einmal geschafft, eine Möglichkeit zu finden, damit schwule Männer Blut spenden können – und mussten selbst bei dieser kleinen Form der Diskriminierung im Parlament gegen ihre eigene Forderung stimmen.

Manche Grün-Affine argumentieren: Immerhin regiert jetzt jemand mit, dem die Umwelt am Herzen liegt, besser als die FPÖ sind sie doch allemal, es ist Krise, was wollt ihr? Man muss aber auch sagen: Die Grünen haben ein Jahr Koalition hinter sich. Sie wissen jetzt, wie der Hase läuft. Sie mussten lernen, was Bundesregierung bedeutet – gemeinsam mit der ÖVP. Die Schonfrist ist vorbei.

Man kann den Grünen jetzt auch nicht mehr helfen: Sie sind in einer ziemlich ausweglosen Lage. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als laut zu bleiben und mutiger zu werden. Denn entweder sie gewinnen an Souveränität und besinnen sich auf ihre Kompetenzen – oder der Schimmel wird, spätestens wenn die Pandemie eingedämmt ist, ihren Stamm befallen. Nur wegen des Umweltschutzes hat die Grünen niemand gewählt. (Katharina Mittelstaedt, 29.1.2021)