Als Innenminister sah Karl Nehammer (ÖVP) keinen Spielraum zum Stopp der umstrittenen Abschiebung nach Georgien.

Foto: APA / HERBERT NEUBAUER

Wien – Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat sich in der Debatte um die Abschiebungen von Minderjährigen nach Georgien und Armenien verteidigt und betont, dass die Gerichte in diesen Fällen die Möglichkeit der Gewährung eines humanitären Bleiberechts geprüft haben. Als Minister hätte er hier keinen Spielraum. Es sei nicht an ihm darüber zu entscheiden, sondern die Asylbehörde und in weiterer Folge die Gerichte, sagte Nehammer in der "ZiB2" Freitagabend.

Als Vater mache es ihn betroffen, dass die Eltern der Kinder das Asylrecht "missbraucht" hätten und ihre Kinder "in diese Lage gebracht" haben. Es wäre von Anfang an klar gewesen, dass es keine Bleiberechtigung gibt. Die Eltern hätten das "bewusst ignoriert". Man hätte diesen Fall "bewusst auf die Spitze getrieben".

Nehammer fürchtete Amtsmissbrauch

Auf die Frage, warum Nehammer nicht anders gehandelt habe und die Abschiebung trotzdem durchführen ließ, verwies er darauf, dass er "eigenmächtigen Weisungen" Amtsmissbrauch begehen würde. Tatsächlich suchte das Innenministerium beim Bundesverwaltungsgericht um Erlaubnis zur Durchführung der Abschiebung an. Laut Ex-Justizministerin Maria Berger (SPÖ) wäre lediglich die neuerliche Prüfung des Falls verpflichtend gewesen, nicht aber die sofortige Abschiebung.

Auf die Frage, ob er die Kinderrechte der Betroffenen geprüft habe, verwies Nehammer auf die Entscheidung des Gerichts. Es gebe hier keinen Grund für ein humanitäres Bleiberecht, sagte Nehammer. Auch die Mutter hätte jahrelang nicht auf das Kindeswohl geachtet.

ORF

2020 ist rund 2.500 Mal humanitäres Bleiberecht gewährt worden und damit sogar deutliche mehr als in den Jahren davor (1.900 in den Jahren 2018 und 2019). Die Hälfte der Fälle wurde vom Bundesasylamt in erster Instanz und die andere Hälfte vom Bundesverwaltungsgericht in zweiter Instanz entschieden. Damit hätten im aktuellen Fall die Gerichte das Kindeswohl berücksichtigt, betonte Nehammer. Es würde das Asylrecht ad absurdum führen, wenn er als Minister die Entscheidungen der Höchstgerichte nicht anerkennen würde. Und gleichzeitig wäre es allen Betroffenen, die sich den Urteilen beugen müssen, gegenüber ungerecht.

Härtefallkommission "in Form der Gerichte"

Auf die zahlreichen Forderungen – auch seitens der katholischen Kirche, das Bleiberecht wieder humanitärer zu machen, antwortete Nehammer: "Ich sehe diesen Fall nicht geeignet, um das Asylrecht an sich in Frage zu stellen. Weil dieser Fall ist ein klassischer Fall von Asylmissbrauch", sagte er. Die Politik folge dem Recht. Die geforderten Härtefallkommissionen hätte man "in Form der Gerichte".

Auch der Schulsprecher des Wiener Gymnasiums Stubenbastei Theo Haas meldete sich in der "ZiB Nacht" zu Wort: Dass die Abschiebung seiner Schulkollegin Tina "eiskalt durchgezogen" wurde, mache die ganze Schule betroffen. Auf die Antworten Nehammers sagte Haas: "Wenn das, was hier stattgefunden hat, nämlich, dass eine wirklich perfekt integrierte Familie, deren Heimat Österreich ist, Mitten in der Nacht abgeschoben wird und in einen Flieger gesetzt wird, in ein Land, zu dem die Familie keinen wirklichen Bezugspunkt hat, dann stimmt etwas mit den Gesetzen nicht." Er forderte die Politik auf, hier nachzubessern.

ORF

Die Abschiebung von drei Schülerinnen und deren Familien sorgt seit Tagen für eine heftige politische Debatte. Eines der drei Mädchen ist die zwölfjährige Tina – in Österreich geboren und aufgewachsen muss sie sich nach ihrer Abschiebung nun in Georgien zurechtfinden.

Tina gibt erstes Interview

In einem ersten Interview aus Georgien schilderte sie der "ZiB 2", wie sie die Abschiebung erlebte. "Es waren alle Gefühle auf einmal", sagte sie. "Trauer, Wut auf irgendeiner Weise und Angst".

ORF

Gesundheitlich gehe es ihr gut, aber sonst nicht: Sie werde ihre Freunde und die Schule vermissen. Georgisch könne die in Österreich Geborene nur sprechen, nicht aber lesen oder schreiben. Ihrer Mutter gehe es nicht so gut, da sie sehr darum gekämpft hätten, in Österreich bleiben zu können. "Wir nehmen Österreich als Heimat wahr", sagte sie.

Sie sei "sehr stolz" auf ihre Freunde und vertraut darauf, dass sie alles für sie machen werden. Auch die Hoffnung, nach Österreich zurückkehren zu können, habe sie noch nicht ganz aufgeben: Sie habe das Gefühl, dass alles gut gehen werde, "vielleicht in etwas längerer Zeit", sagte Tina. (red, APA, 30.1.2021)