Der Kriminalfall Jan Marsalek sorgt für neue Ermittlungen im Verfassungsschutz

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Wien – Scharfe Ermittlungsschritte gegen ehemalige BVT-Mitarbeiter sorgten in den vergangenen Tagen für große Unruhe im Verfassungsschutz. Klar ist, dass in der Causa Wirecard rund um Bilanzfälschung in Milliardenhöhe auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) eine Rolle spielt. Weniger klar ist, wie sehr die Affäre das ohnehin gebeutelte Amt und seine einstigen und aktiven Mitarbeiter tatsächlich belastet.

Eine Hauptrolle im österreichischen Strang des Wirecard-Krimis spielt der ehemalige BVT-Abteilungsleiter Martin W., der seit einigen Jahren karenziert ist. Er stand mit dem früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, mittlerweile international gesucht, schon länger in geschäftlicher Beziehung. Gemeinsam mit dem ehemaligen freiheitlichen Nationalratsabgeordneten Thomas Schellenbacher half er Marsalek, nach der Aufdeckung der Bilanzfälschung bei Wirecard nach Weißrussland zu flüchten.

In seiner zweiten Einvernahme, die dem STANDARD vorliegt, belastete W. dann einen weiteren einstigen Verfassungsschützer: E.O., der seit fast dreißig Jahren Polizist ist. Daraufhin wurde O. festgenommen. Er sitzt genau wie Schellenbacher weiterhin in Untersuchungshaft, während W. wieder auf freiem Fuß ist.

Ein Treffen, drei Haftanordnungen

Die drei Beteiligten trafen einander kurz bevor sie nacheinander verhaftet wurden: So reiste W., der mittlerweile in Dubai wohnt, am 18. Jänner 2021 von München nach Österreich. Am Bahnhof holte ihn Schellenbacher ab, gemeinsam fuhren sie zu einem weiteren Geschäftspartner. Danach brachte ihn Schellenbacher in ein Wiener Hotel, wo er auf E.O. traf. In den Tagen darauf wurden zuerst Schellenbacher, dann W., dann O. festgenommen. Die Beschuldigten dürften sich gegenseitig belastet haben.

Allerdings stellte sich in den vergangenen Tagen zusehends die Frage, wie viel belastendes Material die Ermittler tatsächlich gefunden haben. So wird O. vorgeworfen, im Auftrag von W. Staatsgeheimnisse verkauft zu haben. In einer zusätzlichen Einvernahme gab W. an, dass O. rund 25 Personen darauf prüfen sollte, "ob die für einen anderen Nachrichtendienst arbeiten". Rund zehn Namen auf dieser Liste soll der damalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek beigesteuert haben.

Was wurde abgefragt?

Die ersten zu überprüfenden Namen übermittelte W. laut eigenen Aussagen im Sommer 2018 an O. – der war zu diesem Zeitpunkt allerdings gar nicht mehr im Verfassungsschutz, sondern in der "Gruppe für Internationales" im Innenministeriums. "Er könnte einerseits interne Datenbanken abgefragt haben, aber auch frühere Kontakte und alte Verbindungen genutzt haben. Ich weiß das nicht genau", sagte W. den Ermittlern über O.s Tätigkeiten. Der einstige BVT-Abteilungsleiter bestreitet nun auch, seinen Ex-Kollegen für diese Abfragen bezahlt zu haben – laut seinen Angaben soll es sich um freundschaftliche Zuwendungen gehandelt haben, weil O. finanzielle Schwierigkeiten hatte.

Dem Vernehmen nach hält sich die Anzahl der handfesten Beweise gegen W. und O. bislang in Grenzen. Dabei ließe sich leicht protokollieren, welche Zugriffe auf interne Systeme O. und andere BVT-Mitarbeiter getätigt haben. Dazu kommt, dass im Verfassungsschutz äußerst lasche Regeln bezüglich nebenberuflicher Tätigkeiten herrschen – das soll sich im Zuge der großen BVT-Reform bald ändern. Oft verschwimmen Nebentätigkeiten, Quellenanwerbung und Ermittlungstätigkeiten. Auch O. will nur auf öffentlich zugängliche Datenbanken wie das Firmenbuch zugegriffen haben. Die Ermittler prüfen hingegen, ob er geschützte Informationen wie das Polizeiprotokollierungssystem PAD abrief.

"Sehr interessiert"

Marsalek selbst soll O. zwei Mal getroffen, erzählt W.: Und zwar, als er Letzteren in München besuchte. "Jan Marsalek kam auch in das Zimmer und ich habe E.O. als Kollegen des BVT vorgestellt", sagt W. in seiner Einvernahme. O. wäre "sehr interessiert" gewesen – "so wie man ihn kennt, zeigte er sich für Geschäftsideen und Kooperationen offen." O. gilt im Verfassungsschutz als schillernde Figur, die immer wieder auch durch aufsehenerregende Aktionen auffiel – auch zu seinem Nachteil. Strafrechtlich konnte ihm in seinen dreißig Jahren Polizeidienst jedoch nichts nachgewiesen werden, es gilt die Unschuldsvermutung.

Geschäftlichen Kontakt zu Wirecard und Marsalek pflegte auch Christoph Ulmer, ehemals Kabinettchef (bis 2003) von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP). Ulmers Beratungsfirma erbrachte für Wirecard Leistungen wie "Social Media"-Beobachtung und stellte dafür pro Monat 25.000 Euro Honorar in Rechnung – jedenfalls im Jahr 2018. Das berichtet "Profil" unter Berufung auf Rechnungen, die 2018 an Wirecard-Vorstand Marsalek adressiert waren. Man habe mehrere Jahre für Wirecard gearbeitet und wöchentlich zumindest einen Report erstellt, wird Ulmer zitiert. Die Leistungen seien über Jahre erbracht worden und mit großem Aufwand verbunden gewesen, weil sämtliche international verfügbaren Infos über Wirecard gesammelt, bewertet und gewichtet worden seien. (Fabian Schmid, red, 30.1.2021)