Von Mittwoch auf Donnerstag kam es zu Protesten vor dem Abschiebezentrum in der Wiener Zinnergasse. Diese waren vergebens. Die Polizei löste Sitzblockaden und Barrikaden auf – die Schülerinnen wurden abgeschoben.

Foto: APA/ Georg Hochmuth

Wien – Tina wurde zum Gesicht der Proteste gegen die Abschiebungen zweier Schülerinnen und ihrer Geschwister. Donnerstagfrüh wurde die Zwölfjährige trotz allem ins für sie unbekannte Georgien gebracht, ins Heimatland ihrer Mutter. In der ZiB2 am Freitag war Tina zum ersten Mal für ganz Österreich unverpixelt zu sehen. Der Beitrag über sie stand einmal mehr stellvertretend für alle, die in jener Nacht abgeschoben wurden. Tina, die zehn ihrer zwölf Lebensjahre in Österreich verbrachte, empfand "Trauer, Wut und Angst" und hoffte auf eine Rückkehr. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) schob indes den Eltern des Kindes die Schuld zu, die das Asylrecht "missbraucht" und ihre Kinder in "diese Lage gebracht" haben.

Im Trubel der vergangenen Tage ging beinahe unter, dass neben Tina und ihrer fünfjährigen Schwester Lea noch zwei weitere Schüler abgeschoben wurden. Die 20-jährige Armenierin Sona wurde mit ihren Eltern sowie ihrem minderjährigen Bruder Ashot nach Jerewan gebracht. Sona, die 2016 als Minderjährige nach Österreich gekommen war, stand kurz davor, ihre Matura an einen Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe abzuschließen. Sie wollte Jus studieren. "Zu ihrer Heimat Armenien habe sie jegliche Kontakte verloren", heißt es in der Beschwerde der Anwältin Eva Velibeyoglu gegen den negativen Bescheid des Bundesverwaltungsgerichts.

"Er kennt seine Heimat gar nicht mehr"

Ihr Bruder Ashot kam im Alter von zehn nach Österreich, inzwischen ist er 16 Jahre alt. "Seine Leistungen in der Schule seien positiv", hält die Anwältin in der Beschwerde fest. Er besuchte bis vor kurzem die zweite Klasse einer dreijährigen Fachschule in der höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe, die mit der mittleren Reife abschließe. Das entspreche einem Lehrabschluss.

"Seine Freunde kenne er durch die Schule und mache regelmäßig sportliches Training", heißt es in der Beschwerde. "Er kennt seine Heimat gar nicht mehr", sagt Eva Velibeyoglu zum STANDARD. In Armenien bestehe aber nun die Gefahr, dass Ashot zum Wehrdienst eingezogen wird und direkt in die neu aufgeflammten Kriegshandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan gerät.

Was die beiden Fälle voneinander unterscheidet

Anwältin Velibeyoglu ist darüber verärgert. Im Falle von Sona und Ashot seien nämlich noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft, wie das nun insinuiert wird. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei noch anhängig. Der Verfassungsgerichtshof habe dem Bundesverwaltungsgericht am Donnerstag eine einwöchige Frist gewährt, zur Causa Stellung zu nehmen. "Wenn der aufschiebenden Wirkung stattgegeben wird, dann kann die Familie wieder zurückkommen", sagt Velibeyoglu.

Darüber hinaus steht noch aus, wie der Verfassungsgerichtshof in der Sache selbst entscheidet, also ob er den negativen Bescheid des Bundesverwaltungsgerichts akzeptiert oder abweist. "Im Fall einer Abweisung hat man aber noch einmal sechs Wochen Zeit für eine außerordentliche Revision", erklärt Velibeyoglu. Um den Fall der armenischen Familie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, müssen all diese Rechtswege beschritten worden sein, führt sie aus.

Nicht "hin- und hergereist"

Noch ein Unterschied ist, dass Tina mit ihrer Mutter, die einen negativem Asylstatus hatte, 2012 nach Georgien ausreiste und etwa zwei Jahre später wieder nach Österreich kam. Laut Velibeyoglu sei die armenische Familie nach ihrer Ankunft in Österreich nicht "hin- und hergereist". Die Eltern kamen mit dem Sohn im November 2013 aus der Slowakei mithilfe eines Schleppers nach Österreich – die Tochter kam im Mai 2016 nach. Der Vater stellte laut der Anwältin bereits zuvor in der Schweiz, Deutschland und Zypern Asylanträge, die Ehefrau trat erst in der Slowakei mit ihm gemeinsam auf.

Als Fluchtgrund kann Velibeyoglu nur vage eine Auseinandersetzung des Vaters in Armenien ausmachen, weshalb die Familie nicht mehr in ihrem Heimatland leben konnte. und aus der der Vater einen psychischen Schaden gezogen habe. Durch die Erkrankung des Vaters konnte die Dublin-Entscheidung, wonach ein vorheriges EU-Land zuständig werden würde, nicht durchgesetzt werden, womit die Behörden in Österreich den Fall bearbeiten mussten.

Sieben lange Jahre

Im Gegensatz zur georgischen Familie gab es auch keine mehrfachen Asylanträge, sondern bisher nur ein inhaltliches Asylverfahren in Österreich, skizziert die Rechtsanwältin. Im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hingegen rechnet man die Dublin-Entscheidung dazu, ein weiteres Verfahren begann für Eltern und Sohn 2014 und wurde in erster Instanz komplett abgelehnt. 2016 stellte auch die Tochter einen eigenen Asylantrag. Die Behörde sprach der gesamten Familie die Gefahr im Heimatland ab, ein entsprechender Bescheid wurde laut Velibeyoglu im November 2018 übermittelt. Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte für die Familie keine besseren Nachrichten. Etwa sieben Jahre nach der Ankunft der Familie in Österreich beschäftigt der Fall nun den Verfassungsgerichtshof.

Der Abschiebeversuch in dieser Woche sei auch der erste im Fall der armenischen Familie gewesen, sagt Velibeyoglu. Laut Innenministerium lagen gegen die Familie von Tina davor insgesamt sechs vor, die "aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt werden" konnten.

"Genauso ein Härtefall in Sachen Kindeswohl"

Neos-Asylsprecherin Stephanie Krisper ist erzürnt. Der Fall der armenischen Familie habe bisher zu wenig Beachtung gefunden, "obwohl es sich hier genauso um einen Härtefall hinsichtlich Kindeswohl handelt". Die Familie habe sich nie dem Asylverfahren entzogen, es habe obendrein "absurd lange gedauert", kritisiert Krisper. Es sei inakzeptabel, dies den Kindern zur Last zu lagen. "Innenminister Nehammer hat die Schuld bei dem Fall der georgischen Familie auf die Mutter geschoben, auf wen wird er es in diesem Fall tun?". Das Innenministerium gibt zu Einzelfällen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellungnahme ab. (Jan Michael Marchart, 30.1.2021)