Roberto Fico soll klären, ob sich die Regierungskrise in Italien lösen lässt, indem die alten Koalitionspartner sich wieder vertragen.

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Jetzt ist Roberto Fico am Zug: Der 46-jährige Präsident der Abgeordnetenkammer, Mitglied der Fünf-Sterne-Protestbewegung, hat von Staatspräsident Sergio Mattarella am Freitagabend ein sogenanntes Erkundungsmandat erhalten. Fico soll bis Dienstag abklären, ob sich die Regierungskrise lösen lässt, indem die alten Koalitionspartner sich wieder vertragen und an den Regierungstisch zurückkehren. Gespräche der Koalitionsparteien sind ab Montagvormittag geplant. Die beiden Streithähne, Premier Giuseppe Conte und Ex-Premier Matteo Renzi, hatten zuvor bei Mattarella durchblicken lassen, dass sie bereit wären, unter bestimmten Bedingungen das Kriegsbeil zu begraben. Gegenüber Fico haben sie ebenfalls Gesprächsbereitschaft gezeigt.

Drei Wochen Drama und Beleidigungen – nur um dann weiterzumachen wie zuvor? Das wäre ein passendes Ende für eine absurde politische Krise, die die Geduld der Italienerinnen und Italiener schwer auf die Probe gestellt hat. "Es ist doch nicht zu fassen", sagt der Figaro Paolo, der im Römer Nomentana-Quartier einen Herrensalon betreibt. "Wir haben über 90.000 Covid-Tote, kaum jemand ist geimpft, unzählige Betriebe leiden unter riesigen Umsatzeinbußen – und was machen unsere Politiker? Statt das Land durch die Krise zu führen, inszenieren sie ein Affentheater, dessen Grund niemand versteht."

Mehrheit pessimistisch

Paolo ist mit seinem Ärger und seiner Ratlosigkeit in guter Gesellschaft: Laut einer vom Corriere della Sera am Sonntag publizierten Umfrage hält praktisch die gesamte Nation die seit dem 12. Jänner, also bald drei Wochen, andauernde Regierungskrise für "inopportun". Knapp zwei Drittel der Befragten befürchten, dass die derzeitige politische Lähmung die ohnehin schon erheblichen Probleme Italiens noch verschärfen werde. Zu den Pessimisten gehört auch Paolo: "Wir haben nun den endgültigen Beweis, dass mit diesen Politikern kein Blumentopf zu gewinnen ist. Die führen uns direkt in den Abgrund."

Die meisten Italiener erleben das politische Chaos als mehr oder weniger unnötigen Hahnenkampf der beiden Alphamännchen Conte und Renzi, mit Renzi in der Rolle des ewigen Aggressors und Conte in der Rolle der beleidigten Leberwurst. Renzi bezeichnet seinen Widersacher als unfähigen Populisten, dem seine Popularitätswerte wichtiger seien als die Zahl der Arbeitslosen. Conte wiederum bezichtigt Renzi der politischen Verantwortungslosigkeit und der menschlichen Unzuverlässigkeit. Außenminister Luigi Di Maio, Leaderfigur der Fünf Sterne, denen der parteilose Conte nahesteht, nannte Renzi einen "Serienmesserstecher" – und Conte schwor, sich mit seinem Vorvorgänger als Regierungschef nie mehr an einen Tisch zu setzen.

"Ein Kindergarten", findet die Oberstufenlehrerin Anna Ceresoli. Es könne doch nicht sein, dass Conte und Renzi einen infantilen Machtkampf austragen, während nach wie vor unzählige Schüler im Fernunterricht lernen müssten, weil die Regierung es nicht zustande bringe, normalen Unterricht in Sicherheit zu gewährleisten. Selbst altgediente Politikprofis wie Emma Bonino können nur noch den Kopf schütteln: "Ich habe schon manche Regierungskrise erlebt, aber eine konfusere und absurdere als diese habe ich noch nie gesehen", erklärt die 72-jährige Chefin der liberalen Partei Più Europa. Bonino war 1976 zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden, als Renzi wenige Monate alt war und Conte noch in die Grundschule ging. Von 1995 bis 1999 war sie EU-Kommissarin für Verbraucherschutz.

Sorge in Brüssel

Zunehmend alarmiert über die politische Lähmung in Rom ist man auch in Brüssel. Der Reihe nach haben in den letzten Tagen EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis, EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn und EZB-Präsidentin Christine Lagarde Italien gemahnt, die Termine und Standards für die Verwendung der Gelder aus dem EU-Recovery-Fund einzuhalten und die an den Erhalt der Hilfen geknüpften Reformen anzupacken. Brüssel treibt auch noch eine andere Sorge um: Falls die Krise nicht bald beendet wird, drohen Neuwahlen. Dann wäre es wahrscheinlich, dass über die Verwendung der 209 Milliarden Euro aus dem Recovery Fund nicht mehr eine gemäßigte Mitte-links-Regierung, sondern notorische Europagegner wie Matteo Salvini und Giorgia Meloni entscheiden würden.

Gentiloni, der zwischen Renzi und Conte Regierungschef Italiens war, bezeichnete die Hilfen aus dem Recovery Fund als "Chance des Lebens" – als eine Gelegenheit, die nur einmal komme und das Leben der Italiener verändern könne. "Angesichts dieser einmaligen Chance ist das pathetische Ballett von Namen und Parteien, von persönlichen Ambitionen von diesem oder jenem Politiker sehr, sehr viel weniger als das, was das Land von seiner Führung erwarten darf", schrieb der gewöhnlich regierungsnahe Corriere della Sera in einem ungehaltenen Leitartikel.

Schaden für Italiens Image

Das Mailänder Blatt, aber auch viele Italiener sorgen sich um das Image Italiens im Ausland. "Che figuraccia! – Was für eine schlechte Figur!", stöhnt Roberto, als er vom ausländischen Journalisten auf die Regierungskrise angesprochen wird. Roberto betreibt einen Pizza-Imbiss an der Viale Giulio Cesare unweit des Vatikans und leidet seit bald einem Jahr unter dem Mangel an Touristen. Auch er hat dringendere Sorgen als eine nicht endende Regierungskrise. "Es ist peinlich – aber wir dürfen uns nicht beklagen: Wir haben diese Leute ja gewählt", sagt der Pizzabäcker.

Roberto hofft, dass sein Land nun bald wieder eine Regierung erhalte – welche, das sei ihm eigentlich ziemlich egal. Die Italiener sind diesbezüglich generell eher unentschieden: 40 Prozent wünschen sich laut der zitierten Umfrage eine Rückkehr Contes, der in der Krise an Beliebtheit eingebüßt hat; 36 Prozent hoffen auf einen anderen Premier. Neuwahlen wünscht sich nur jeder vierte Befragte: Die Risiken eines monatelangen Machtvakuums werden von den meisten Italienern in der jetzigen Situation als zu hoch eingeschätzt. "Im Parlament sollen sie sich jetzt gefälligst zusammenraufen und dann wieder regieren. Das ist in der heutigen Notlage doch nicht zu viel verlangt", findet Roberto. (Dominik Straub aus Rom, 1.2.2021)