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Empörung in Brüssel vereint Dublin und London.

Foto: Reuters/Kevin Coombs

Britische Anhänger des europäischen Einheitsgedankens haben schwierige Tage hinter sich. Ausgerechnet zum Jahrestag des von 48 Prozent der Wählerschaft abgelehnten Austritts erweist sich die EU im Impfstreit als unflexibel, bürokratisch und arrogant, zeigt also all jene Eigenschaften, die den Brüsseler Institutionen von ideologischen Brexiteers stets unterstellt wurden. Dass die hastig aufgesetzten Exportkontrollen, in sich selbst ein fataler Schlag gegen Freihandel und internationale Kooperation, ganz nebenbei noch den Frieden in Nordirland aufs Spiel setzten, scheint in der Kommission niemandem aufgefallen zu sein. Erst energischer Einspruch aus Dublin und London machte dem Spuk ein Ende.

Verhältnisse auf der grünen Insel

Die Beispiellosigkeit des Vorgangs erkennt nur, wer über die Verhältnisse auf der grünen Insel Bescheid weiß. Die Offenhaltung der inneririschen Grenze galt den EU-Verhandlern stets als oberstes Gebot, und zwar zu Recht: Der Friedensprozess in der einstigen Bürgerkriegsregion beruht darauf. Mit einem Federstrich sollte das Ringen in den Brexit-Verhandlungen der vergangenen vier Jahre zunichtegemacht werden.

Wem es gelingt, die besonders europafreundliche große Koalition in Dublin in ein Bündnis mit Chef-Brexiteer Boris Johnson zu zwingen; wer parteiübergreifend von irischen Nationalisten bis glühenden Unionisten sämtliche führende Politiker Nordirlands gegen sich aufbringt; wer sich vom Erzbischof von Canterbury ins Stammbuch schreiben lassen muss, das europäische Vorgehen verstoße gegen die Solidarität und damit gegen Grundsätze der christlichen Soziallehre – dem ist eigentlich nicht mehr zu helfen.

Verheerender Fehler

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides haben im Streit um den an der Uni Oxford entwickelten, von Astra Zeneca vertriebenen Impfstoff jedes Maß verloren. Sie verloren das Interesse eines kleinen, aber vom Brexit besonders betroffenen Mitgliedslandes aus den Augen. In Dublin wird nun darüber spekuliert, ob der verheerende Fehler auch passiert wäre, wenn Phil Hogan noch EU-Handelskommissar wäre.

Der erfahrene Europapolitiker und Handelsexperte musste im Sommer seinen Hut nehmen, weil er in seiner Heimat an einem Dinner teilgenommen hatte, das gegen Corona-Einschränkungen verstieß. Im Vergleich zum Vorgehen von Kyriakides und von der Leyen eine Lappalie. (Sebastian Borger, 1.2.2021)