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Einen "Akt der Feindseligkeit" sah DUP-Chefin Arlene Foster in den Brüsseler Plänen, die innerirische Grenze zu schließen.

Foto: Reuters/Noble

Die Drohung der EU-Kommission, wegen des Streits um Covid-Impfstofflieferungen notfalls die innerirische Grenze zu schließen, hat am Wochenende quer durchs politische Spektrum Irlands und Großbritanniens für Empörung gesorgt. In einer konzertierten Aktion hatten die Premiers Michéal Martin und Boris Johnson Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Wochenende zum Einlenken bewegt. Dieser "leichtfertige Fehler hätte nicht passieren dürfen", teilte der irische Außenminister Simon Coveney mit. Führende Brexiteers fordern nun eine Neufassung der umstrittenen Sonderregelung für Nordirland.

Die Erhaltung des Friedensprozesses in Nordirland machten die EU-Verhandler nach der Brexit-Entscheidung vom Juni 2016 auf Drängen Dublins zu einem ihrer zentralen Anliegen. Gegen den Widerstand der Hardliner in den eigenen Reihen sowie der nordirischen Protestantenpartei DUP stimmte Johnson dem Nordirland-Protokoll im EU-Austrittsvertrag zu. Es garantiert den weitgehend ungestörten Verbleib Nordirlands im europäischen Binnenmarkt, führt aber zu Kontrollen zwischen der einstigen Unruheprovinz und der britischen Hauptinsel. Für die Aussöhnung zwischen Katholiken und Protestanten gilt die offene Grenze als unabdingbar.

Entsprechend entsetzt reagierten Dublin und London, als sie am späten Freitagnachmittag von den Brüsseler Plänen erfuhren. Im Rahmen der neuen Ausfuhrkontrollen für Corona-Impfstoffe, die innerhalb der EU produziert werden, müsse man notfalls Artikel 16 des Nordirland-Protokolls einseitig in Anspruch nehmen, hieß es. Dies hätte eine Schließung der inneririschen Grenze erfordert.

Johnson und Martin verständigten sich darauf, die Kommissionspräsidentin unter Druck zu setzen. Unterdessen telefonierte Kabinettsminister Michael Gove mit Leyens Vize Maroš Šefčovič; die beiden Politiker haben in den vergangenen Monaten in den Verhandlungen über praktische Probleme Nordirlands ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Dem gemeinsamen anglo-irischen Druck gab Brüssel rasch nach.

Kritische Stimmen in London und Belfast

Zuvor hatte das offenbar mangelhaft koordinierte Vorgehen der EU die politischen Akteure Nordirlands vereint – obwohl sich der britische Teil der Grünen Insel 2016 noch klar für den EU-Verbleib aussprach. Die Katholikenpartei Sinn Féin nannte die Initiative "unklug", Colum Eastwood von der SDLP sprach von einem "ernsten Fehler". Auf Protestantenseite wurden Stimmen laut, London solle von sich aus Artikel 16 außer Kraft setzen – die einzig richtige Antwort auf "diesen Akt der Feindseligkeit", so DUP-Chefin Arlene Foster. Ähnlich äußerten sich Brexit-Hardliner in Johnsons Regierungspartei.

In Großbritannien konstatierte der Observer, die Impfkrise zeige die "schlimmste Seite Europas" und die "beste Seite Großbritanniens". Labour-Lord Stewart Wood, einst Europa-Berater des Premiers Gordon Brown, zeigte sich auf Twitter zornig, warnte aber vor eigenen Vergeltungsmaßnahmen. Der bekannte Europa-Experte Anand Menon sprach davon, die EU habe "die Sache total vermasselt". Grundsätzlich wurde der Erzbischof von Canterbury, höchster Geistlicher der anglikanischen Staatskirche. Die Gemeinschaft gründe auf der christlichen Soziallehre und damit auf Solidarität, teilte Justin Welby auf Twitter mit. "Den Export von Vakzinen zu kontrollieren unterminiert die ethische Grundlage der EU." (Sebastian Borger aus London, 31.1.2021)