Schulschließungen gab es in fast allen EU-Ländern. In Frankreich sind Schulen derzeit offen, in Paris mit strikten Vorsichtsmaßnahmen.

Foto: AFP

Auf den ersten Blick ist die Sache eindeutig. Während Ökonomen über jedes Thema streiten können, herrscht unter ihnen Konsens darüber, dass mehr Bildung später zu einem höheren Erwerbseinkommen führt und damit auch zu mehr Wohlstand in der Gesellschaft beiträgt.

Schul-Lockdowns, wie sie aktuell in Österreich verhängt wurden, sind demnach längerfristig wirtschaftlich schädlich. Wenn am Montag über Öffnungsschritte beraten wird, muss die Regierung also alles mitberücksichtigen: Wie wirken sich geschlossene Schulen auf die Ausbreitung der Pandemie und auf die psychische und soziale Gesundheit von Kindern aus? Aber eben auch: Was bedeuten gesperrte Schulen für den Wohlstand?

Doch im Detail wird es kompliziert. Tatsächlich vermag derzeit nämlich auch die Wissenschaft nicht zu sagen, welchen Schaden die Lockdowns genau anrichten. Es gibt nur Möglichkeiten der Annäherung.

Als Basis für die Debatten diente zuletzt ein Befund aus Deutschland, wonach durch jedes zusätzliche Jahr an formaler Bildung das Erwerbseinkommen eines Menschen über das ganze Leben betrachtet im Schnitt um rund zehn Prozent steigt. Ähnliche Berechnungen für die USA gehen von plus elf Prozent aus.

Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat auf Basis dieser Zahlen eine überschlagartige Rechnung dazu gemacht, was die Lockdowns in Österreich die Schüler später kosten werden. Dafür wurde angenommen, dass so, wie jedes zusätzliche Schuljahr mehr Geld bringt, jedes verlorene Jahr später zu gleich hohen Verlusten führt. Für einen Vollzeitbeschäftigten, der im Median zuletzt um die 40.000 Euro Jahreseinkommen bezieht, bedeutet jeder Monat an Schulschließungen demnach einen künftigen Einkommensverlust von 270 Euro pro Jahr.

Minus 1.300 Euro?

Im November, als das IHS seine Rechnung präsentierte, summierten sich die Schul-Lockdowns auf Kosten von 800 Euro im Jahr beim künftigen Einkommen. Aktuell wären es für Oberstufenschüler, die länger im Lockdown sind, schon um die 1.300 Euro weniger an Jahresgehalt. Laut IHS müssen Menschen, die später Teilzeit arbeiten oder selbstständig tätig sind und weniger verdienen, etwa mit der Hälfte dieser Verluste rechnen.

Auf Basis dieser Werte lässt sich auch der wirtschaftliche Schaden schätzen. Ein Verlust eines Viertels des Schuljahres führt laut IHS zu einer Reduktion von 1,1 Prozent der künftigen Wirtschaftsleistung. Das sind für Österreich rund vier Milliarden Euro im Jahr.

Dauer der gesetzlich verordneten Lockdowns in europäischen Ländern.

Ein ähnliches Bild zeichnen andere Studien, in denen untersucht wurde, wie sich Schulschließungen als Folge der Grippe-Pandemie 1918 auswirkten: Negative Effekte bei den späteren Einkommen von Kindern aus den damals betroffenen Generationen ließen sich in den USA noch bis in die 1980er-Jahre nachweisen. Untersuchungen zu temporären Schulschließungen in Deutschland in den 1960er-Jahren zeigen ebenfalls klar negative Effekte bei späteren Einkommen.

Allerdings gibt es gegen solche Berechnungen Einwände. Wenn Menschen, die länger eine Schule besuchen, später mehr verdienen, liegt das daran, dass sie ihre Position relativ zu anderen am Arbeitsmarkt verbessern. Ein Ingenieur verdient mehr als jemand, der bloß eine Matura hat. Die Schul-Lockdowns treffen aber in der Dauer alle Schüler gleich. Ist es also legitim, verlorenen Schulmonaten so hohe Kosten beizumessen? Hinzukommt, dass Schulen zwar im Lockdown waren, aber nicht jedes Monat deshalb schulisch verlorengeht.

Was digitale Plattformen bewirken

Denn die Bildungseinrichtungen sind im Distance Learning: Statt Präsenzunterricht wird über Teams und andere Plattformen gearbeitet. Das unterscheidet den aktuellen Lockdown in Industrieländern von früheren Schließungen: 1918 gab es noch kein Internet.

Die Frage ist, wie viel Schule wirklich verlorengeht? Wie eine Befragung der Universität Wien unter 13.000 Schülern ergeben hat, befassten sich Schüler im ersten Lockdown im Schnitt fünf Stunden am Tag mit "schulischen" Themen. Im zweiten Lockdown 7,1 Stunden. Für die Mehrheit der Schüler sei ein Monat Lockdown, so anstrengend er sozial und psychisch auch sein mag, schulisch nicht verloren, sagt die Bildungspsychologin Christiane Spiel. Das treffe nur auf jenen Teil der Schüler zu, der nicht erreichbar ist.

Laut Befragungen unter Lehrern war das im ersten Lockdown bei zwölf Prozent der Schüler der Fall, in Wien sogar bei 15. Zumeist scheiterte der Kontakt an fehlenden technischen Voraussetzungen oder fehlender Unterstützung im Elternhaus. Sozial benachteiligte Gruppen: Wenn die älteren Studien Geltung haben, dann also vor allem für diese Gruppe.

Aber es gibt noch eine besonders gefährdete Gruppe. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann vom Münchner ifo-Institut hat auf Basis von 1.000 befragten Eltern herausgefunden, wie deutsche Schüler ihre Zeit im Lockdown verbrachten. Wer früher gute Noten hatte, lernte viel. Schwache Schüler schauten dagegen täglich 6,3 Stunden fern oder spielten Computer und widmeten sich nur 3,4 Stunden der Schule. Hier sei die Gefährdung durch Lockdowns also am größten, so Wößmann.

Schlechte Schüler oder Kinder aus benachteiligten Verhältnissen: Sie dürften also am stärksten zurückgeworfen sein. Damit würden sich auch ihre Karten am Arbeitsmarkt später deutlich verschlechtern. (András Szigetvari, 1.2.2021)