Die Straße zum Parlament in Napyidaw ist gesperrt.

Auch Telefon- und Internetverbindungen waren teilweise blockiert.

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Was ist am Montagmorgen in Myanmar passiert?

In den frühen Morgenstunden ergriff das Militär erneut die Macht im Land und rief einen einjährigen Ausnahmezustand aus. Die Führung der demokratisch gewählten Regierungspartei NLD (National League of Democracy) der De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi wurde festgesetzt. Auch einige Abgeordnete wurden in einem Hotel in der Hauptstadt Naypyidaw in Gewahrsam genommen. Außerdem wurde laut Beobachtern eine große Anzahl an Aktivisten der "1988-Generation" festgenommen. Damals gab es in Myanmar einen großen Aufstand, bei dem sich die junge Suu Kyi als Demokratie-Ikone profilierte.

Telefon- und Internetverbindungen wurden zumindest zeitweise gekappt, laut Augenzeugen war verstärkte Militärpräsenz auf den Straßen von Rangun und Naypyidaw zu sehen. Die Banken sind bis Dienstag geschlossen.

Gibt es Proteste?

Einige Befürworter des Coups zogen am Montag fahneschwenkend durch Rangun. Proteste gegen den Putsch gibt es bisher nicht im Land. Anonym äußerten sich Gegner gegenüber Reuters: "Ich bin wütend, ich möchte nicht noch mehr Militärherrschaft."

Die NLD veröffentlichte über ihr Facebook-Konto ein Schriftstück, in dem Suu Kyi zum Widerstand aufruft: "Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren."

Warum putscht das Militär jetzt?

Der Grund sei Wahlbetrug bei der Parlamentswahl im vergangenen November, gab das Militär bekannt. An diesem Montag wäre das neue Parlament erstmals zusammengekommen. Schon in den Tagen davor hatten Gerüchte über einen drohenden Putsch die Runde gemacht.

Tatsächlich wurde im Vorfeld der Wahlen auch von internationalen Beobachtern kritisiert, dass viele Menschen nicht zur Wahl zugelassen wurden. Vor allem in den Regionen mit mehrheitlich ethnischen Minderheiten wurden wegen Sicherheitsbedenken die Wahlen abgesagt. Das ist aber nicht, was das Militär anprangert.

Der Vorwurf des Militärs lautet, dass Wählerlisten in großem Stil gefälscht worden seien – Beweise legte es aber bisher nicht vor. Bei den Wahlen musste die vom Militär unterstützte Partei USDP eine herbe Niederlage einstecken, bereits die zweite seit der demokratischen Öffnung des Landes Ende der Nullerjahre.

Das Militär sitzt doch trotzdem fest im Sattel. Warum putscht es?

Das Militär halte zwar laut Verfassung automatisch 25 Prozent der Sitze, erklärt Georg Bauer von der Universität Wien. Mit dem schlechten Abschneiden der USDP sei es aber weit davon entfernt, eine Regierung bilden zu können. Bauer hält die Vorwürfe des Militärs allerdings für gehaltlos: "Die NLD braucht keine Manipulation, um zu gewinnen."

"Es ist extrem schwer zu verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht", erläutert Bauer. Er sieht eine mögliche Erklärung darin, dass die Emotionen in den vergangenen Tagen einfach hochgingen, weil die NLD in den Gesprächen nicht bereit war, Kompromisse bezüglich der Vorwürfe einzugehen.

Hatte sich das Land in den vergangenen zehn Jahren nicht eher demokratisiert?

In den vergangenen zehn Jahren hat Myanmar eigentlich eine Phase der Demokratisierung erlebt. Nach fast 50 Jahren Militärdiktatur wurde 2008 eine Verfassung verabschiedet, die einige Jahre später auch die ersten freien und fairen Wahlen seit langer Zeit zuließ. Schon Ende der 1980er-Jahre hatte es Aufstände gegen die Bedingungen im Land gegeben, die aber brutal niedergeschlagen wurden. Suu Kyi, damalige Demokratie-Ikone und Friedensnobelpreisträgerin von 1991, verbrachte die darauffolgenden Jahre fast ständig unter Hausarrest.

Wie viel Rückhalt hat Aung San Suu Kyi in Myanmar?

Wie auch die Wahlergebnisse zeigen, ist die Unterstützung für Suu Kyi vor allem unter der Mehrheitsbevölkerung der Bamar ungebrochen. In den vergangenen Jahren wurde aber Kritik laut, dass sie zunehmend einen autoritären Stil des Militärs übernehme. So wurden unter ihrer Führung politische Aktivisten festgenommen, Minderheiten in dem Vielvölkerstaat fühlten sich oft ausgegrenzt. Vor allem die Situation der Rohingya hat international für Aufschreie gesorgt, weil sich Suu Kyi nicht für die Anliegen der verfolgten Muslime einsetzte, sondern deren brutale Unterdrückung und Verfolgung verteidigte.

Die Mehrheit der Bamars wiederum sieht gerade die Kritik aus Europa und den USA an Suu Kyi als Verrat gegenüber Myanmar. In ihren Augen ist Suu Kyi weiterhin die Verfechterin der Demokratie gegenüber dem Militär.

Was bedeutet der Putsch für die Rohingya?

Ein Vertreter der Rohingya-Flüchtlinge in Cox's Bazar in Bangladesch verurteilte den Putsch am Montag. "Wir drängen die internationale Gemeinschaft dazu, hervorzutreten und die Demokratie wiederherzustellen", sagte Dil Mohammed. Bangladesch hoffe weiter darauf, dass die Zurückbringung der Flüchtlinge – wie ausgemacht – weitergehen kann, gab das Außenministerium am Montag bekannt. In Flüchtlingslagern des Nachbarlands leben hunderttausende Rohingya, die teilweise gar nicht zurückwollen, weil sie sich vor weiterer Verfolgung im eigenen Land fürchten.

Wie fielen internationale Reaktionen aus?

Viele Länder verurteilten den Putsch am Montag, darunter die USA, die EU und Großbritannien. Die US-Regierung erklärte, Präsident Joe Biden sei über die Verhaftung Suu Kyis informiert worden, er sprach von "geeigneten Maßnahmen", die nun zu ergreifen seien. Auch die EU drohte mit Konsequenzen. Schon jetzt gelten EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren für einige Angehörige der Streitkräfte. Chinas Reaktionen fielen vorsichtiger aus. Das Nachbarland rief zur Aufrechterhaltung der Stabilität auf, man bemühe sich um weitere Informationen zur Lage im Land, hieß es aus dem Außenministerium. Im Uno-Sicherheitsrat soll die Krise am Dienstag auf die Agenda gesetzt werden.

In Thailand wurden mindesten zwei Menschen bei Solidaritätskundgebungen vor der Botschaft Myanmars verletzt. In Thailand selbst gehen seit Monaten immer wieder Menschen gegen die eigene Regierung auf die Straße.

Wie kann es weitergehen?

Das Militär versprach, im Laufe des nächsten Jahres "freie und faire Wahlen" abzuhalten. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist nicht absehbar. Der Putsch hat außerdem das Vertrauen in die fragilen demokratischen Institutionen schwer gedämpft. Bauer sieht weiters die Waffenstillstandsabkommen mit den vielen ethnischen Rebellengruppen im Land in Gefahr.

Der Bürgerkrieg, der seit über 70 Jahren andauert, könnte wieder voll aufflammen. Bauer hofft aber, dass sich das Militär bei etwaigen Protesten zurückhält. Das Weiße Haus drohte der Putsch-Junta jedenfalls am Montag, sollten die Dinge so weitergehen, mit einer Einführung harter Wirtschaftssanktionen. (Anna Sawerthal, 1.2.2021)