Anna Paul macht Brotkunst: in der Bäckerei Poilâne in Paris.

Foto: Bildrecht Wien, Viktor Sekularac

Die Kruste ist goldbraun gebacken, der Teig herrlich flaumig, die Porung üppig – man bekommt direkt Appetit beim Anblick der unzähligen Fotos von makellosen Brotlaiben, die seit einiger Zeit den Newsfeed auf Instagram fluten. Über die Lockdowns hinweg haben viele Menschen ihre Backkünste perfektioniert und zeigen das auch!

Nicht so Künstlerin Anna Paul: "Ich backe privat schon auch sehr schöne Brote, poste sie aber nicht auf Instagram. Damit ich nicht in einen Konflikt mit meiner Kunst komme." Die 33-Jährige spielt auf Posts zu ihren Arbeiten an, die sortiment, A Still-Life of Bread and Butter oder breakfast pieces heißen und sich mit Brot befassen.

Eigentlich hat Anna Paul Architektur an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert, aber schon immer die Fachgrenze zur Kunst sehr verschwommen wahrgenommen. So befasst sich die gebürtige Kärntnerin seit ihrem Abschluss 2011 künstlerisch mit Alltagsgegenständen. Sie wolle weg von dem Elitären, das der Kunst oft anhafte, sagt sie.

Brot findet sie besonders spannend: "Es ist eine Art politisches Barometer. Die Abwesenheit dieses Grundnahrungsmittels hat 1789 die Französische Revolution oder zuletzt den Bürgerkrieg in Syrien mitverursacht. In Europa herrscht hingegen derzeit extremer Überschuss."

Zufallsskulpturen

Diesen thematisierte Anna Paul Ende 2019 als Teil ihrer Arbeit sortiment mit Gebilden aus ineinander verschmolzenen Teigresten und Gebäckstücken. Dazu inspiriert hatte sie eine Betriebsbesichtigung bei der Bäckereikette Ströck. Überschüssige Teiglinge schmeißt man dort nicht weg. Sie kommen auf ein Blech und werden ausgebacken. Das Ergebnis wird normalerweise zu Bröseln oder Tierfutter verarbeitet.

Anna Paul sah darin aber künstlerisches Potenzial und erhöhte die Teigreste zu vergänglichen Zufallsskulpturen. "Ich finde das Ungestaltete sehr schön. Es hat etwas Poetisches in unserer durchdesignten Welt."

Die Zusammenarbeit mit Ströck entstand durch ein zufälliges Treffen mit Unternehmer Gerhard Ströck in der berühmten Pariser Edelbäckerei Poilâne. Dort arbeitete die Künstlerin am Projekt "breakfast pieces".

Tauschhandel

Die Bäckereibesitzerin Apollonia Poilâne hatte sie im Refettorio von Massimo Bottura kennengelernt. Paul buk während eines sechsmonatigen Paris-Aufenthalts 2019 Baguettes in der Suppenküche des Spitzenkochs, Poilâne spendete regelmäßig übrig gebliebenes Gebäck. Die beiden kamen ins Gespräch, Anna Paul erfuhr von der Brotkunstsammlung der Familie Poilâne.

Anna Paul und Susanna Hofer stellen mit ihrer Arbeit "Still-Life of Bread and Butter" Fragen nach den Grundbedürfnissen der Gesellschaft.
Foto: Susanna Hofer /Bildrecht Wien

Apollonia Poilânes Großvater Pierre, der die Bäckerei 1932 gegründet hatte, gewährte mittellosen Künstlern, ihr Brot mit einem Gemälde davon zu bezahlen. So entstanden viele Brot-Stillleben, die sich heute im Hinterzimmer der Bäckerei im 6. Arrondissement befinden. Dort hängt auch eine Arbeit von Anna Paul. "Ich hab eine Darstellung der Poilân’schen Kunstsammlung aus Keramik gebacken", erzählt sie.

Während die Maler damals Brotgemälde gegen Brotlaibe getauscht haben, tauschte Paul mit dem Projekt "breakfast pieces" Raumdarstellung gegen Raumzugang. Wer nach ihrem Werk fragte, erhielt Einlass ins Hinterzimmer, welches sonst nicht öffentlich zugänglich ist.

"Interessant war für mich der Tauschhandel als Alternative zum extrem kapitalistischen Kunstmarkt", erklärt sie die Arbeit. Auch die Objekte von A Still-Life of Bread and Butter, die sie gemeinsam mit Kollegin Susanna Hofer kreierte, entziehen sich der Wertlogik des Kunstmarkts.

Brotkunst für den Naschmarkt in Wien, die zum Lebensmittelpreis verkauft wurde.
Foto: Susanna Hofer /Bildrecht Wien

Brot und Butter

Es war die erste Edition eines Projekts, bei dem ein Stand am Wiener Naschmarkt zum Kunstraum wird, Produkte des täglichen Bedarfs zu Kunst werden. Im November 2020 waren es Brotobjekte von Anna Paul und Butter-Arrangements von Susanna Hofer.

Diese konnten zum normalen Preis der Lebensmittel gekauft werden. Eigentlich handelte es sich aber um (vergängliche) Kunstwerke. "Die Stimmung war positiv, es entstand trotz Lockdowns ein schöner Austausch mit den Menschen", erzählt Anna Paul. Auf den erfolgreichen Projektstart folgten weitere Editionen, bei denen etwa Wasser verkauft wurde oder mit Haubenkoch Lukas Mraz eine "Nusslotterie" veranstaltet wurde.

Für den Frühling ist eine Rückkehr an den Kunst-Marktstand geplant. Und selbst wenn dann Brot keine Rolle spielen sollte, darf man davon ausgehen, dass Anna Paul auch in Zukunft wieder den Ofen im Dienste der Kunst anwirft. (Michael Steingruber, RONDO, 25.2.2021)