Barbara van Melle eröffnete nach Dekaden in den Medien 2016 ihre Backstube Kruste & Krume in Wien.

Foto: Kruste&Krume

Langsam, aber eindeutig ging der Berufswechsel von Barbara van Melle vor sich. Als ORF-Moderatorin engagierte sich die heute 61-jährige mit Slow Food für Biodiversität und den Erhalt kulinarischer Traditionen. 2014 führte sie "die Bäcker auf die Straße", so titelten manche Medien, und legte mit dem öffentlichen Handsemmelformen auf der Wiener Mariahilfer Straße ihren eigenen Grundstein in der Brotwelt.

STANDARD: Was war die Idee hinter dem Handsemmel-Flashmob?

Barbara van Melle: Wir wollten darauf aufmerksam machen, was eine industriell erzeugte Maschinensemmel von einer Handsemmel unterscheidet und warum die eine 15 Cent und die andere rund einen Euro kostet. Dieses riesige Interesse und Medienecho haben wir allerdings alle nicht erwartet.

STANDARD: War das der Tag, an dem Sie beschlossen, in Zukunft Ihre eigenen Brote zu backen, anstatt darüber zu berichten?

van Melle: Es war ein Anstoß, ja. Die endgültige Entscheidung für Kruste&Krume, das Brotbackatelier, das ich gemeinsam mit Bäckermeister Simon Wöckl gegründet habe, fiel nach der Veröffentlichung meines Buches Der Duft von frischem Brot. Ich habe damals alle Bäcker, die ich für das Buch porträtierte, recht blauäugig um Rezepte gebeten. Der Großteil der Rezepte der Profis war aber für das Nachbacken zu Hause nicht geeignet. Das habe ich beim Ausprobieren in meiner Küche festgestellt und nach und nach begriffen, dass Brot nicht gleich Brot ist, dass wir im Begriff sind, ein Handwerk zu verlieren, das nur mehr sehr wenige beherrschen. Das Potenzial, das im Brot schlummert, ist riesig.

STANDARD: Potenzial als Anbieter von gutem Brot oder für Brot in den eigenen vier Wänden?

van Melle: Beides. In Kruste & Krume bieten wir kein Brot zum Verkauf an. Wir geben Kurse und verkaufen alles, was man braucht, um gutes Brot zu backen nebenan in der Greißlerei. Wir sagen: "Brot backen ist Therapie." Es ist auf so viele Arten befriedigend, wenn man es richtig macht. Für Gastronom Bernd Schlacher und sein neues Projekt "Motto Brot" bin ich als Beraterin tätig. Natürlich ist es etwas vollkommen anderes, eine gewisse Menge zu produzieren, als mit Kursteilnehmern eine Art von Brot durchzunehmen. Das Prinzip für gutes Brot bleibt aber das gleiche. Ohne hochwertige Zutaten, Know-how und Zeit geht Brot nicht.

2018 eröffnete Barbara van Melle die erste Brotgreißlerei Wiens. Darin gibt es alles, was man braucht, um gutes Brot zu backen.
Foto: Kruste&Krume

STANDARD: Na ja, bei Mehl, Salz und Germ kann man ja nicht viel falsch machen, oder?

van Melle: In den Kursen ziehe ich gerne die Parallele zum Wein. Dort gehen wir ja auch nicht her und sagen: Ja, passt, grüne Trauben, daraus machen wir Weißwein. Wir unterscheiden zwischen Rebsorten, Jahrgängen und Lagen. Und das alles trifft auch auf das Getreide zu. Nicht aus jedem Getreide wird ein gutes Baguette oder ein feines Bauernbrot. Und die alten Sorten, die oft sogar besseres Brot ergeben, gehen zunehmend verloren. Der Ertrag ist zu gering und die Bewirtschaftung zu aufwendig. Und Germ braucht man keinen, wenn man mit Sauerteig arbeitet. Dann übernehmen die im Sauerteig befindlichen natürlichen Milchsäurebakterien und Hefen die Fermentation.

STANDARD: Gutes Brot ist also nicht so einfach zusammengemischt?

van Melle: Gutes Brot braucht Zeit. Sauerteig ist ein lebender Organismus. Füttert man ihn mit Dingen, die ihm nicht schmecken, schmeckt auch das Brot dementsprechend. In der Greißlerei führen wir Mehle aus Schlägler Roggen, Laufener Landweizen oder Lungauer Tauernroggen. Das sind alles alte Sorten, die sich wunderbar fürs Brotbacken eignen. Das Schöne an Brot ist, dass man diese Unterschiede sofort erkennt. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Brotbacken glücklich macht. Dabei kann es schon passieren, dass Kursteilnehmer uns vor Freude über das selbstgebackene Brot fast um den Hals fallen.

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Brotbacken kann glücklich machen.
Foto: Getty Images/ alvarez

STANDARD: Kann man damit auch den Hype ums Brot erklären?

van Melle: Zunehmend mehr Menschen haben, oft aufgrund ihrer virtuellen Arbeitswelt, ein verstärktes Bedürfnis, wieder mit den Händen zu arbeiten. Und dafür eignet sich Brotbacken perfekt. Man lernt, das wichtigste Grundnahrungsmittel selbst herzustellen. In der Pandemie ist dieser Wunsch noch einmal gewachsen

STANDARD: Kommt Brot auch irgendwann wieder aus der Mode?

van Melle: Dass Brot in Brotboutiquen mit tausend Mascherln verziert wird, geht mir und vielen anderen auf die Nerven. Und natürlich gehen die Brotpreise von manchem Anbieter über das hinaus, was sich jeder täglich leisten kann. Gutes, handwerklich gemachtes Brot ist aber auch arbeitsintensiver und die Zutaten dazu teurer. So erklärt sich der Preis. Das ist nicht nur Marketing. Brot kann meiner Meinung nach nicht in oder out sein. Es ist ein Grundnahrungsmittel. Bäcker, die sich dem Handwerk verschreiben, schaffen Bewusstsein dafür, was gutes Brot ist, und sie ermutigen auch Landwirte, wieder alte Getreidesorten anzubauen. Das freut mich sehr. Und auch wir wollen unseren kleinen Beitrag dazu leisten.

STANDARD: Und das geht als Brotbäckerin einfacher als als Journalistin?

van Melle: Ich wollte von der Beobachterin zur Aktivistin und Teil der Veränderung werden. Biodiversität schützen ist essenziell für unsere Zukunft. Brot ist für mich das perfekte Lebensmittel, um das aufzuzeigen. (Nina Wessely, RONDO, 15.2.2021)