"Wir wurden nicht vergessen, wir wurden ignoriert": Für den Agenturbetreiber Ian Smith hat die britische Politik das Musikbusiness im Stich gelassen.

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Endlich wieder Konzerte? Darauf freuen sich viele, wenn die Corona-Krise im Griff ist. Doch wenn es um Bands aus Großbritannien geht, könnte es auch in Zukunft schwierig werden, sie in unseren Breiten zu sehen zu bekommen. Damit Musiker weiterhin unbürokratisch touren können, haben mehr als 200.000 Menschen eine Petition mit dem etwas umständlichen Titel "Seek Europe-wide Visa-free work permit for Touring professionals and Artists" unterschrieben, die nächste Woche im britischen Parlament behandelt wird. Auch der Musikagent Ian Smith, der die Agenturen Frusion und Fizzion in Wien und Derbyshire betreibt, wird sie verfolgen. Einstweilen versucht er, auf seiner Website ukeartswork.info Licht ins Dunkel der Brexit-Folgen für das musizierende Volk zu bringen.

STANDARD: Was hat sich durch den Brexit für Musiker aus Großbritannien verändert, die jetzt in der EU spielen wollen?

Smith: Es gibt drei Elemente. Erstens brauchen sie eine individuelle Arbeitserlaubnis für die 27 Staaten in der EU. Hier gelten jeweils unterschiedliche Regeln. In Österreich kann man 30 Tage ohne Erlaubnis arbeiten, man muss sich aber bei den Behörden melden. In Deutschland und Frankreich sind es 90 Tage im Jahr, in Spanien oder Italien geht gar nichts ohne Arbeitserlaubnis. Sprich, wenn eine Band in mehr als ein oder zwei Ländern spielen will, hat sie ein logistisches Minenfeld vor sich. Zweitens brauchen Musiker nun ein Zolldokument, das Carnet heißt: Es listet dein ganzes professionelles Equipment auf, also jedes einzelne Teil, das du in den Schengenraum aus- oder einführst. Das allein kostet ordentlich Geld, außerdem musst du eine Kaution hinterlegen, die einen bestimmten prozentuellen Teil des Equipment-Werts ausmacht. Der dritte Punkt ist der Import von Merchandise wie CDs oder T-Shirts, für den Zollgebühren zu zahlen sind.

STANDARD: Wie viel kostet das denn ungefähr mehr als früher?

Smith: Nehmen wir die klassische mittlere Band mit vier Mitgliedern, die eine vierwöchige Tour in der EU machen will: Sie hat schätzungsweise Mehrkosten von 3000 Euro, die sie vorstrecken muss, bevor sie überhaupt nach "Mainland-Europe", wie wir das nennen, kommt. Dieses Geld hat so eine Band schlichtweg nicht.

STANDARD: Nun umgekehrt. Welche Regeln gelten für eine Band aus der EU, die in Großbritannien spielen möchte?

Smith: Ironischerweise ist das etwas einfacher. Wenn man für maximal 90 Tage im Jahr in Großbritannien arbeiten will, reicht dafür ein sogenanntes Certificate of Sponsorship. Dieses Zertifikat können Sponsoren, die beim UK Immigration Service registriert sind, ausstellen. Also ich zum Beispiel. Das macht nicht die Regierung. Eigentlich verrückt! Was die Carnets und den Merch betrifft, gilt aber dasselbe wie für Musiker aus Großbritannien, die in der EU spielen möchten.

STANDARD: Und die Situation für Roadies?

Smith: Ist ein Albtraum. Sound- und Lichttechniker, Stage-Manager, Tour-Manager und alle diese Leute brauchen natürlich auch für alle EU-Länder, in denen sie sich bewegen, eine Arbeitserlaubnis. Dazu kommt eine Sache, die Cabotage heißt. Wenn Laster aus Großbritannien kommen, dürfen sie jetzt nur noch drei Stopps in der EU machen. Also versucht man das Problem zu umgehen, indem man sagt: "Na ja, dann musst du halt in der EU eine EU-Crew anheuern und in Großbritannien eine Großbritannien-Crew." Roadies aus Großbritannien sind aber finanziell abhängig von den europäischen Tourneen.

STANDARD: Das wirkt, als wäre alles in Stein gemeißelt. Kann es hier denn noch Bewegung geben?

Smith: Wenn der politische Wille da ist, ja. Die Sache mit den Visa ließe sich leicht klären. Bezüglich der Carnets müsste man eine Ausnahmeregelung für Musikinstrumente einführen. Was Merch, also Waren, betrifft, denke ich, dass das so bleiben wird. Keine Regierung gibt gern Zolleinnahmen auf. Aber: Großbritannien verdient sechs Milliarden Pfund im Jahr mit Musik – zumindest vor Covid. Ich gehe davon aus, dass im nächsten Jahr sehr wohl Deals gemacht werden. Das würde zumindest die Vernunft nahelegen.

STANDARD: Warum hat man mögliche Ausnahmen denn nicht schon von Anfang an bedacht? Wurden die Musiker vergessen?

Smith: Nein, es geht hier um Ideologien. Die Tories haben in ihrem Manifest geschrieben, dass sie die Kontrolle über die Grenzen zurückerlangen und die Bewegungsfreiheit stoppen wollen. Wir wurden nicht vergessen, wir wurden ignoriert.

STANDARD: Wie wird sich die Situation auf die musikalischen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien auswirken? Was heißt es fürs Geschäft?

Smith: Besonders wenn Grenzen aufgezogen werden, kämpfen Kreative noch mehr um Austausch. Aber was das Geschäft betrifft, ist es auf kurze Sicht gesehen ein Desaster. Großbritannien wird einfach an Dominanz am Markt verlieren. (Amira Ben Saoud, 2.2.2021)