Die gebürtige Moskauerin Anastasia Wassiljewa ist erst seit relativ kurzer Zeit politisch aktiv.

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Was ist das für ein Hausarrest, wenn Mama nicht zu Hause ist? Die russische Augenärztin, Gewerkschafterin und Kremlkritikerin Anastasia Wassiljewa ist wegen Verstoßes gegen Gesundheitsvorschriften bis zum 23. März unter Hausarrest gestellt worden. Doch nicht daheim, sondern in der Wohnung ihres Ex-Manns, ihrer Meldeadresse. Die beiden minderjährigen Kinder Wassiljewas haben nun in einem eindringlichen Video die Behörden gebeten, ihre Mutter zu ihnen in die Wohnung zu entlassen.

Dass ein Justizirrtum zur Familientrennung führte, ist ausgeschlossen; die Polizei weiß genau, wo Wassiljewa wohnt, hat sie sie doch vor einigen Tagen in ihrer tatsächlichen Wohnung festgenommen. Die Bilder, wie Wassiljewa während der vorhergehenden Hausdurchsuchung stoisch am Klavier Beethovens Für Elise spielte, gingen durch die Agenturen.

Reuters

Die gebürtige Moskauerin ist erst seit relativ kurzer Zeit politisch aktiv. "Ich habe wirklich geglaubt, dass in unserem Land alles hervorragend ist, wir einen prächtigen Putin haben und die Krim uns gehört", erzählt sie. Nach dem Medizinstudium machte die aus einer Ärztefamilie stammende Wassiljewa erfolgreich Karriere, erst am staatlichen Forschungsinstitut für Augenkrankheiten, dann in einer Privatklinik.

Unabhängige Gewerkschaft "Ärzteallianz"

Erst als im Zuge der umstrittenen Gesundheitsreform tausende Ärzte entlassen wurden und ihrer Mutter, einer langjährigen verdienten Spezialistin, angeboten wurde, als Putzfrau weiterzuarbeiten, empörte sie sich. Hilfe fand sie bei einem ehemaligen Patienten: Alexej Nawalny. Dabei hatte sie eigenen Worten nach nicht einmal gewusst, wer er war, als sie ihm 2017 nach einer Brillantgrün-Attacke das Augenlicht rettete. Im Jahr darauf gründete sie mit seiner Unterstützung die unabhängige Gewerkschaft "Ärzteallianz", mit der sie auf Missstände im Gesundheitswesen aufmerksam macht und sich für die Rechte der in Russland unterbezahlten Mediziner einsetzt.

In russischen Medien gilt sie seither als "Nawalnys Ärztin", kremlnahe Tabloids sagten ihr jüngst gar eine Affäre mit dem Politiker nach und haben angebliche Nacktfotos Wassiljewas geleakt.

Schon als sie zu Beginn der Corona-Krise Masken für Ärzte sammelte und verteilte, wurde sie wegen Verstoßes gegen die Gesundheitsvorschriften angeklagt. Damals drohte ihr freilich nur eine Ordnungsstrafe, jetzt nach dem Aufruf zur Demo für die Freilassung Nawalnys sind es mehrere Jahre Haft. (André Ballin aus Moskau, 2.2.2021)