In anderthalb Monaten jährt sich hierzulande der erste Lockdown, und das Gros der Bevölkerung wartet auf die erlösende Impfung. Allerdings rückt die für den Sommer erhoffte und von der Politik versprochene Normalität allmählich in die Ferne, denn die Produktion der Vakzine läuft holprig. Stehen Pharmakonzerne wegen Profitgier auf der Bremse, war die EU zu geizig oder handelt es sich bei den Engpässen um Kinderkrankheiten?

So viel steht fest: Dass es innerhalb von zehn Monaten überhaupt Impfstoffe gibt, überraschte auch viele Experten. Dennoch hadert Europa gerade mit Lieferschwierigkeiten, allen voran bei Astra Zeneca. Erst hätten nur 31 Millionen Dosen geliefert werden können, doch am Sonntag korrigierte der britische Konzern seine Liefermenge auf 40 Millionen Dosen nach oben. Das ist allerdings noch immer nur die Hälfte der ursprünglich vereinbarten Menge von 80 Millionen Dosen.

Das Warten auf den Impfstoff lässt die Wogen hochgehen. Auch eine Verstaatlichung der Produktion wird diskutiert.
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Diplomatisches Eigentor

Zudem hat sich die EU-Kommission selbst ein Bein gestellt. Astra Zeneca hatte Verzögerungen damit begründet, dass es Probleme bei Werken in den Niederlanden und Belgien gebe, die Produktion für Großbritannien aber unbeeinträchtigt bleibe. Die EU präsentierte daraufhin eine Verordnung, die es erlaubt, Exporte von Impfstoffen zu überwachen oder sogar zu stoppen.

Ausnahmen gab es für alle Nachbarländer, nur für Großbritannien nicht. Das wäre einem Schließen der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland gleichgekommen. Ein diplomatisches Desaster, da die EU im Brexit-Streit genau dagegen jahrelang angekämpft hatte. Nach heftiger Kritik von mehreren Seiten ruderte die EU zurück.

Debatte um Verstaatlichung

Weniger realitätsnah, aber dennoch heiß diskutiert ist momentan eine mögliche Verstaatlichung der Impfstoffproduktion, um ebensolchen Engpässen vorzubeugen. Unterschiedlicher könnten die Ansätze der Befürworter und Gegner dieser Idee kaum sein.

Jene, die die Produktion verstaatlicht sehen wollen, werfen Pharmakonzernen vor, aus Profitgier nicht mehr zu produzieren. Eine Ausweitung der Produktionsstraßen würde sich für sie nicht rechnen. Deswegen müsse die Politik eingreifen und das regeln. Die Ansätze lauten: mehr monetäre Anreize für den Privatsektor, Patentübernahmen, Lizenzvergabe oder Preisregulierungen.

Geld für die Welt

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schwebt sogar eine staatlich gelenkte "Not-Impfstoffwirtschaft" vor, der Staat solle Produktionsvorgaben machen und die Betriebe dafür angemessen entschädigen.

Der Staat sollte sich stärker engagieren und die nationale Impfstoffherstellung besser fördern, meint der Präsident den deutschen Ifo Clemens Fuest. Berechnungen zeigten, dass sich nahezu jede Investition in den massiven Ausbau der Impfstoffproduktion für den Staat lohne: "Die Kosten eines Lockdowns sind in jedem Fall höher." Er spricht sich beispielsweise dafür aus, dass Boni ausgezahlt werden, wenn zusätzliche Impfdosen geliefert werden.

Lizenz-Kooperationen

Die Praxis zeigt aber, dass auch ohne staatliches Zutun die Produktion hochgefahren wird. Sanofi will im eigenen Werk in Frankfurt ab Sommer den Biontech-Impfstoff herstellen. Auch Novartis bot Unterstützung an. Das eigene Impfstoffgeschäft haben die Schweizer vor Jahren verkauft. Und Bayer möchte beim ebenfalls deutschen Unternehmen Curevac mithelfen. Deren Präparat ist noch nicht fertig entwickelt, bis zu 300 Millionen Dosen sollen aber 2021 hergestellt werden.

Staatliche Unternehmen, die Güter mit hohen Sicherheits- und Qualitätsansprüchen herstellen, kämpfen eher mit Lieferverzögerungen als private, heißt es bei den Verstaatlichungsgegnern. Für Vertragsstrafen würde schließlich auch der Staat geradestehen. Den Patentschutz nachträglich auszuhebeln minimiere künftig die Anreize, in Forschung zu investieren.

Genaue Prüfung dauert

"Die Pharmaindustrie ist die globalste Branche der Welt", meint Arzt und Pharmaexperte Thomas Rudolph von McKinsey. Bei den aktuellen Anforderungen komme der Staat auch nicht mit. "Dass mancher Impfstoff nicht schneller zugelassen wurde, liegt eher an den Behörden als an den Firmen. Jeder Produktionsschritt wird genau überwacht." Es komme am ehesten bei der Analytik zu Engpässen – bevor eine Impfdosis verkauft werden kann, muss sie genau geprüft werden.

Mit Biontech, Moderna und Astra Zeneca führen Firmen mit wenig Vakzin-Erfahrung im Rennen um den Impfstoff. Aus dem haben sich zuletzt einige Konzerne zurückgezogen, die Margen waren anderswo größer. Aber dann kam Corona. (Andreas Danzer, Aloysius Widmann, 2.2.2021)