Gavin Wax, Chef der New York Young Republicans, fordert bei einer Demo mehr Kontrolle für die Wall Street.

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Scott Galloway ist Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der New Yorker Universität. Für das, was mit der Gamestop-Aktie derzeit an der Wall Street passiert, wählt er drastische Worte: Die neuen Online-Handelsplattformen wie der bei den Reddit-Usern mehrheitlich genutzte Online-Broker Robinhood seien die neuesten Crack-Dealer, denen es darum gehe, bei den Kunden ständig die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin auszulösen. Sie setzten alles daran, um mit Game-Elementen ständig neue Deals anzuschieben: "Konfetti fällt, um Transaktionen zu feiern. Die Broker-App sieht aus wie ein buntes Interface von Candy Crush."

Tatsächlich kommen die Handelsplattformen, über die seit Tagen der Kurs des dahindümpelnden US-Spieleverkäufers Gamestop mehrheitlich von jungen Hobbyinvestoren in schwindelnde Höhen getrieben wurde, immer mehr in die Kririk. Als vergangenen Donnerstag der Kurs für eine Gamestop-Aktie auf bis zu 500 Dollar kletterte, zog Robinhood die Reißleine und blockierte weitere Käufe. Das Hinauftreiben des Kurses war somit nicht mehr möglich.

Stoppschild

Auch andere Online-Broker – von E-Trade über TD Ameritrade, Trade Republic bis hin zu den Plattformen der großen Vermögensverwalter Charles Schwab und Fidelity – griffen zwischenzeitlich mit einem Kaufstoppschild ein, weil der große Andrang nicht mehr bewältigt werden konnte. Der Eingriff der Plattformen wird auf zwei Gründe zurückgeführt: Einerseits gehe es darum, unbedarfte Anleger zu schützen – so teilte es Trade Republic seinen Usern mit. Käufe sind via die deutsche App wieder möglich.

Der zweite Grund ist, dass durch die vielen Aufträge und damit hohen Handelsvolumina den Plattformen kurzfristig das Geld ausging, das sie bei Clearingstellen für den Fall eines Ausfalls eines Trades vorhalten müssen.

Die Entscheidung von Robinhood, nur noch den Verkauf der Gamestop-Aktie zuzulassen, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der künftige Vorsitzende des Bankenausschusses im US-Senat, Sherrod Brown, kündigte eine Anhörung "zum aktuellen Zustand des Aktienmarkts" an. Es sei an der Zeit für die Börsenaufsicht SEC und den Kongress, dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniere, nicht nur für die Wall Street.

Bidens Mann für mehr Kontrolle

Hier kommt Gary Gensler ins Spiel. US-Präsident Joe Biden will Gensler als neuen Chef der SEC. Das deutet bereits auf einen Kurswechsel hin. Biden will die Wall Street wieder stärker kontrollieren, Gensler ist sein Mann dafür. Der frühere Goldman-Sachs-Banker verschärfte als Chef der Finanzbehörde Commodity Futures Trading Commission CFTC auch schon die Kontrollen für Großbanken und komplexe Transaktionen. Die SEC will die Vorgänge rund um Gamestop jedenfalls untersuchen. Die Behörde versprach, Kleinanleger zu schützen, wenn die Faktenlage auf manipulative Handelsaktivitäten hinweise.

Eine stärkere Kontrolle von Banken und Hedgefonds durch die Politik forderten am Sonntag auch Demonstranten auf der Wall Street. "Spekulanten knöpfen uns Milliarden ab", sagte Gavin Wax, Chef der Gruppe "New York Young Republicans", die den Protest organisiert hatte, in einer Ansprache. "Sie machen, was sie wollen, und müssen keine Konsequenzen fürchten."

Die New York Young Republicans sind eine Nachwuchsorganisation der Republikanischen Partei. Ihre Aktion sollt an die "Occupy Wall Street"-Märsche im Herbst 2011 erinnern. Damals zogen tausende Menschen durch das Finanzviertel und forderten von der US-Regierung eine strengere Aufsicht über die Bankenindustrie.

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Justiz schaltet sich ein

Eingeschaltet haben sich auch US-Justizbehörden. Der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton hat Informationen von Robinhood und weiteren Online-Broker angefordert, um herauszufinden, ob bei den Beschränkungen des Handels mit Gamestop-Aktien und einigen anderen Firmen alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Von Absprachen der Hedgefonds mit Handelsplattformen und Web-Servern zur Abwehr von Bedrohungen aufgrund deren Marktdominanz ist die Rede. "Es stinkt nach Korruption", sagte Paxton. Auch New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James will ermitteln.

Gamestop ist jedenfalls nicht das einzige Opfer der neuen Börsenparty. Auch die Aktien der Kinokette AMC, von Blackberry und Nokia sowie der Unternehmen Express Inc. und Bed Bath & Beyond Inc waren und sind Gegenstand heftiger, koordinierter Kursspekulationen.

Neue Woche, neue Ziele

Zu Wochenbeginn haben die vernetzten Anleger scheinbar Silber für sich entdeckt und den Markt entsprechend aufgewühlt. Broker mussten eigreifen und den Handel besser absichern. Der weltgrößte börsennotierte Silberfonds (ETF) notierte vorbörslich fast zwölf Prozent höher auf einem Acht-Jahres-Hoch von 27,71 Dollar und stand vor dem zweitgrößten Tagesgewinn seiner Geschichte. Titel des Minenbetreibers Fresnillo stiegen um fast 21 Prozent. An der Wall Street legten Konkurrenten wie Fortuna Silver, Coeur oder Pan American Silver ebenfalls stark zu. Am Kryptowährungsmarkt winkte Ripple mit einem Plus von zeitweise mehr als 50 Prozent auf 0,755 Dollar einer der größten Tagesgewinne in der Geschichte der nach Bitcoin und Ethereum drittwichtigsten Cyber-Devise.

Über Apps wie Robinhood – übrigens selbst ein Kandidat für einen Börsengang – ist das Handeln mit Aktien und auch mit risikoreicheren Papieren so einfach geworden wie die Online-Bestellung einer Pizza. Gebühren fallen dabei nicht an. Verbraucherschützer werfen Robinhood daher vor, unerfahrenen Kunden auch komplizierte Finanzprodukte zur Verfügung zu stellen, worauf jene dann nicht nur Gefahr liefen, ihr Erspartes zu verlieren, sondern sich auch kräftig zu verschulden.

Robinhood und Hedgefonds unter Druck

Ihre Wetten auf Kursverluste bei Gamestop sind Hedgefonds teuer zu stehen gekommen. Seit Jahresbeginn summieren sich ihre Verluste auf 12,5 Milliarden Dollar (10,3 Milliarden Euro), wie aus Daten des Datenanbieters Ortex hervorgeht. Durch den unerwarteten Kursanstieg bei Gamestop waren Hedgefonds zur Auflösung ihrer Wetten auf den Kursverfall dieser Papiere gezwungen. Dies trieb einige Fonds an den Rand des Ruins.

Robinhood hat bei Investoren indes weitere 2,4 Milliarden Dollar eingesammelt. Die Runde wurde von Ribbit Capital unter Beteiligung von ICONIQ, Andreessen Horowitz, Sequoia, Index Ventures und NEA angeführt, wie die bei Kleinanlegern beliebte Handelsplattform in einem Blog mitteilte. Erst vor wenigen Tagen hatte Robinhood eine Milliarde Dollar bei Geldgebern eingeworben. Mit dem neuen Kapital hat Robinhood in einer Woche nun mehr Kapital eingesammelt, als jemals zuvor seit seiner Gründung im Jahr 2013. Damit hat die Plattform wieder genügend finanzielle Mittel zur Deckung des Finanzierungsbedarfs aufgrund des Handelsbooms.

Börsenexperte Dirk Müller fasst die aktuellen Vorgänge so zusammen: "Was bei Gamestop passiert, offenbart, dass die Börse kein Spielfeld mehr ist, sondern ein Schlachtfeld." (Bettina Pfluger, 2.2.2021)