Warum verlässt Marketing- und Kommunikationschef Martin Radjaby-Rasset die Erste Group – und was hat er nun vor? Was wäre beim ORF zu tun – und will der Hoffnungsträger der Grünen selbst in die Führung des weitaus größten österreichischen Medienhauses wechseln? Im STANDARD-Interview erklärt er seinen Abgang – und skizziert seine Ideen für den ORF.

Am Dienstag wurde der Abgang offiziell: Radjaby-Rasset verlässt die Erste Group, deren Kommunikation und Marketing er seit 2017 gründlich neu aufgestellt hat – von "Glaub an Dich" und "George" bis zu Igel Henry und Hummel Hanna. Der 45-Jährige macht sich selbstständig, berät weiterhin Erste-Group-CEO Bernd Spalt und arbeitet an Markenprojekten der Erste Group in acht Ländern. Die Martin Radjaby Rasset Strategie & Kommunikation KG gibt es übrigens schon seit 2011.

Vor der Erste Group führte Radjaby-Rasset als Geschäftsführer von Jung von Matt Donau eine der großen Kreativagenturen des Landes. Begonnen hat er 1999 bei Ö3, wo er bis 2011 die Programmgestaltung leitete. Dann wechselte er zu den Grünen, leitete deren Kommunikation und vor allem Wahlkampagnen, bis zur Präsidentschaftskampagne von Alexander Van der Bellen 2016.

Er gilt als grüne Hoffnung für die ORF-Führung, die im Sommer 2021 neu bestellt wird. Die entscheidende Mehrheit dafür liegt im ORF-Stiftungsrat bei ÖVP-nahen Stiftungsräten.

Marketing- und Kommunikationschef Martin Radjaby-Rasset verlässt die Erste Group und macht sich selbstständig. Nachfolger: Mario Stadler (Erste Bank) und Peter Thier (Erste Group).
Foto: Wolfgang Zac

STANDARD: Warum verlassen Sie die Erste Group denn schon wieder? Haben Sie alle Tiere, Werbepreise und Glaubensfragen durch?

Radjaby-Rasset: Ich möchte mich künftig voll auf meine inhaltlichen Stärken konzentrieren und projektorientierter arbeiten. Die Zusammenarbeit mit der Erste endet nicht, wir organisieren sie nur neu.

STANDARD: Sie haben vor der Erste Group Jung von Matt geführt und machen sich selbstständig – wird das eine Agentur?

Radjaby-Rasset: Im Kern geht es mir darum, für die jeweilige Aufgabe die beste Lösung zu finden und diese mit ganzer Leidenschaft umzusetzen. Act or forget – halbe Sachen sind nicht meines, entweder ich mache etwas, oder eben nicht. Dazu braucht es ein entsprechendes Mindset und die richtigen Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Also das passende Team, ganz nach dem Motto "First who then what". Ich glaube sehr daran, dass in Zukunft vor allem Menschen mit hoher Diversität und unterschiedlichsten Backgrounds neue Wege finden werden.

STANDARD: Die Erste bleibt also auf der Kundenliste von Martin Radjaby-Rasset?

Radjaby-Rasset: Ich habe in den letzten Jahren gemeinsam mit einem hervorragenden Team und sehr viel Herzblut aller die attraktivste Bankenmarke weiterentwickeln und verantworten dürfen. Unsere gemeinsame Reise, die mit "#glaubandich" begonnen hat, geht jedenfalls weiter, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Peter Thier und Mario Stadler in den neuen Funktionen.

STANDARD: Was werden Sie für die Erste – von außen – tun? Was gibt es noch zu tun nach Ihren ersten fünf Jahren?

Radjaby-Rasset: Einerseits darf ich Bernd Spalt (CEO der Erste Group, Anm.) als persönlicher Berater zur Seite stehen und andererseits strategische Marken- und Zukunftsprojekte innerhalb der Erste-Group-Banken in acht Märkten vorantreiben. Zurzeit arbeiten wir beispielsweise an einem großen Projekt in der Česká spořitelna (Tschechische Sparkasse, größte Bank in Tschechien und Tochterbank der Erste Group, Anm.) und rollen unsere Plattform "George" in der Erste Bank Ungarn aus. Wir konzentrieren uns im neuen Zusammenarbeitsmodell darauf, Innovationen und Lösungen gemeinsam und agil zu entwickeln.

STANDARD: Wird auf der Kundenliste von Martin Radjaby-Rasset auch der ORF stehen?

Radjaby-Rasset: Zumindest derzeit ist das kein Thema.

STANDARD: Aber Sie haben schon den einen oder anderen Auftritt vor den ORF-Stiftungsräten hinter sich über digitalen Zukunftsstrategien, die dort einigen Eindruck hinterlassen haben. Wie könnte denn die Zukunft des ORF aussehen – und die passende Strategie dafür?

Radjaby-Rasset: Eines steht jedenfalls fest: Der ORF muss etwas tun, wenn er zukunftsfit werden will. Einerseits braucht es die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen, also zum Beispiel die gesetzlichen Möglichkeiten, für soziale Medien Content zu produzieren. Andererseits aber braucht es auch eine andere Art von Inhalten. Und auch wirkliche Chancen für die nächste Generation an Programmmachern und insbesondere -macherinnen.

Das aktuelle Selbstverständnis des ORF definiert sich zwangsläufig aus seiner Legacy heraus. Ich glaube, dass der ORF als digitales Zukunftsunternehmen komplett neu gedacht werden kann. Ein österreichisches Identitätsprojekt, das für alle da ist und uns alle angeht. Dafür braucht es jedenfalls einen klaren Auftrag der Politik und ein Transformationsprojekt ungeahnten Ausmaßes. Ich bin mir sicher, dass das machbar ist, wenn der Auftrag und die Richtung klar sind.

STANDARD: Sie haben bei Ö3 begonnen – immerhin noch heute Marktführer in Österreich. Aber hat ein so breites Popradio in öffentlich-rechtlicher Hand eine längerfristige Zukunft – und welche?

Radjaby-Rasset: Ja, warum denn nicht? Ö3 hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder neu erfunden und dabei höchste Relevanz mit seinem Programm und auch als Marke unter Beweis gestellt. Öffentlich-rechtlich heißt nicht Spartenmedium, sondern muss aus meiner Sicht eben die gesamte Breite des Publikums bedienen. Das ist eines der Hauptargumente, warum man dem ORF künftig erlauben muss, das einzige Massenmedium, das in den letzten zehn Jahren entstanden ist, ohne Einschränkungen zu bespielen: nämlich Social Media. Der ORF muss seine öffentlich-rechtlichen Inhalte möglichst allen Zielgruppen über möglichst alle Kanäle anbieten dürfen.

STANDARD: Braucht man eigentlich in Zeiten von Streaming und mehr und mehr News- und Spartenchannels noch öffentlich-rechtliche Medien, für die das Publikum verpflichtend zahlen soll? Die STANDARD-Posterinnen und -Poster zum Beispiel scheinen die Sache mit dem Zahlen doch überwiegend zu verneinen.

Radjaby-Rasset: Auch hier ein klares Ja! Der ORF soll – neben über den Markt generierten Erträgen – von uns allen finanziert werden. Er trägt dafür ja auch die höchste Verantwortung im journalistischen und gestalterischen Bereich und darf ausschließlich nach Kriterien der Unabhängigkeit und Relevanz agieren. Es darf kein Interesse geben, außer das beste öffentlich-rechtliche Medienangebot für alle Menschen zu liefern. In seiner Vielfalt, Ausgewogenheit und journalistischen Exzellenz. Und das auf allen Wegen.

STANDARD: Im August wählt der ORF-Stiftungsrat den nächsten Generaldirektor ab 2022, im September dann die übrigen Direktoren. Sie werden – auch im STANDARD – regelmäßig als grüner Hoffnungsträger für einen ORF-Führungsjob gehandelt. Ist der Abschied von der Erste Group der erste Schritt Richtung Küniglberg?

Radjaby-Rasset: Ich verstehe, dass Sie das fragen, aber bitte um Verständnis, an Personalspekulationen beteilige ich mich nicht.

STANDARD: Sie haben nebenbei 2020 die – vorerst jedenfalls – größte Informationskampagne der Bundesregierung entworfen, formal für das Rote Kreuz: "Schau auf Dich, schau auf mich". Jetzt werden gerade ein (bis) 30-Millionen-Etat für Kreativleistungen und ein 180-Millionen-Media-Etat der Regierung für die nächsten Jahre vergeben. Werden wir Martin Radjaby in den Credits der Bewerber oder gar der künftigen Etathalter finden?

Radjaby-Rasset: Nein.

STANDARD: Anders gefragt: Berät der selbstständige Martin Radjaby-Rasset auch weiterhin "Schau auf Dich" und Folgekampagnen?

Radjaby-Rasset: Ich manage seit einem Jahr ehrenamtlich im Auftrag des Roten Kreuzes die Informationskampagne. Was die kommenden Monate bringen, werden wir sehen.

STANDARD: Sie waren Kommunikationschef der Grünen und haben Wahlkampagnen, auch für Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen, gemacht. Welche Überlebenschancen geben Sie der türkis-grünen Regierung nach der demonstrativen Abschiebung von Minderjährigen?

Radjaby-Rasset: Ich bin weder im Nationalrat noch in der Bundesregierung und werde deshalb keine politischen Ratschläge über die Medien geben. Als Kommunikationsprofi möchte ich aber schon anmerken, dass insbesondere in schweren Zeiten, Stichwort Corona, positive Nachrichten notwendig sind. Gutintegrierte Kinder im Land zu halten wäre definitiv ein solches Signal und eines der Menschlichkeit. (Harald Fidler, 2.2.2021)