Olivier Nakache und Éric Toledano haben für Arte die Serie "In Therapie" entwickelt.

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Léonora (Clémence Poésy, links) und Damien (Pio Marmaï, rechts) brauchen Philippe Dayans (Frédéric Pierrot, Mitte) Hilfe: Sollen sie ihr ungeborenes Kind behalten?

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Als Olivier Nakache und Éric Toledano die Arbeit an der Serie In Therapie begannen, konnten sie nicht wissen, wie aktuell ihr Thema bald sein würde. Psychotherapie steht in den sozial herausfordernden Zeiten der Pandemie hoch im Kurs, und so gesehen ist es ein glücklicher Zufall, dass die Arte-Serie In Therapie am Donnerstag um 21.50 Uhr Premiere hat. In 35 Folgen erzählen Nakache und Toledano von Behandlungserfolgen und -misserfolgen des Therapeuten Dr. Philippe Dayan (Frédéric Pierrot) mit fünf seiner Klienten.

"Als wir gedreht haben, gab es noch keine Pandemie, und nichts deutete darauf hin, dass uns so einschneidende Ereignisse bevorstehen würden", antworten Nakache und Toledano auf schriftliche Interviewfragen des STANDARD.

STANDARD: Die Serie spielt im Jahr 2015. Hatten Sie damals schon Lust, eine französische Ausgabe von BeTipul zu machen?

Nakache/Toledano: Die Serie BeTipul hat uns von der ersten Folge an in ihren Bann gezogen. Sie ist ungewöhnlich, intelligent gemacht und hat ein neuartiges Format. Ausschlaggebend war dann die Begegnung mit den Produzentinnen von Les Films du Poisson.

STANDARD: Was hat Sie veranlasst, In Therapie ausgerechnet jetzt, in dieser besonderen Situation zu machen?

Nakache/Toledano: Als wir gedreht haben, gab es noch keine Pandemie, und nichts deutete darauf hin, dass uns so einschneidende Ereignisse bevorstehen würden. Drei Tage nach Ende der Dreharbeiten wurde dann der erste Lockdown in Frankreich verhängt. Hintergrund der Serie sind ja die Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015, die ganz Frankreich in einen Schockzustand versetzt haben. Zurzeit erleben wir im Grunde wieder ein kollektives Trauma. Durch die aktuelle Krise erfährt die Serie eine neue Lesart.

STANDARD: Die Vorlage BeTipul ist inzwischen über 15 Jahre alt. Welchen Einfluss übte das Original da noch aus?

Nakache/Toledano: Die Vorlage wurde in 15 Ländern überarbeitet, um ihr ungewöhnliches, neuartiges Format an die Situation im jeweiligen Land anzupassen. In unserer Fassung sind das eben die Brüche in der französischen Gesellschaft. Da ist beispielsweise die Figur des jungen Polizisten Adel, gespielt von Reda Kateb, der nach den Anschlägen als einer der Ersten mit den Einsatzkräften in Bataclan eindringt.

STANDARD: Hintergrund der Serie sind die Anschläge auf die Konzerthalle Bataclan. Inwieweit sind die Pariser immer noch traumatisiert?

Nakache/Toledano: Es wird lange dauern, bis die Wunden verheilt sind, die diese Attentate Frankreich zugefügt haben, denn sie zielten auf die französische Gesellschaft als Ganzes ab. Wir hoffen, dass wir mit der Zeit den nötigen Abstand gewinnen, um zu begreifen, wie es zu so grauenhaften Anschlägen in unserem Land kommen konnte.

STANDARD: Wo waren Sie zum Zeitpunkt der Anschläge?

Nakache/Toledano: Tatsächlich weiß jeder von uns ganz genau, wo er zu dem Zeitpunkt war. Das Gleiche gilt auch für den Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Center. Wir waren am Abend des 13. November 2015 zu Hause und haben ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich angeschaut. Die erste Detonation haben wir live gehört. Und dann klingelten auch schon die Handys.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass Gabriel Byrne, der in der amerikanischen Fassung In Treatment den Therapeuten spielt, selbst noch nie auf der Couch war. Haben Sie persönlich Erfahrungen mit Psychotherapie und -analyse?

Nakache/Toledano: Wir arbeiten seit 20 Jahren im Zweierteam und können sagen, dass wir uns ständig gegenseitig analysieren. Wir interessieren uns seit langem für Psychoanalyse. Der Versuch, den Menschen in seiner ganzen Komplexität zu erfassen, ist ein Thema, das uns fasziniert.

STANDARD: Was können Sie über den Dreh erzählen?

Nakache/Toledano: Die Dreharbeiten waren für uns ein wahrer Marathon, bei dem die Herzen des Teams und der Schauspieler im Gleichtakt schlugen. Und uns hat beeindruckt, wie ausdauernd und überzeugend Frédéric Pierrot bei den Dreharbeiten und in seiner Rolle war.

STANDARD: Das Serienkonzept verspricht eine sehr dichte, intensive Auseinandersetzung zwischen Therapeut und Klient. Was hat es gebraucht, um diese Atmosphäre herzustellen?

Nakache/Toledano: Genau diese Herausforderung hat uns von Anfang an fasziniert. Wie schaffen wir es, die Spannung aufrechtzuerhalten? Drehbuchteam und Regisseure haben gemeinsam in jeder Folge an der Dosierung der Spannung gefeilt.

STANDARD: In Deutschland haben die neu aufgekommenen Streamingdienste einen regelrechten Serienboom ausgelöst. Wie ist das in Frankreich? Können Sie sich vor Angeboten nicht mehr retten?

Nakache/Toledano: Natürlich hat der Lockdown den Streamingdiensten einen phänomenalen Zuwachs beschert. In diesen schwierigen Zeiten kommt dem Fernsehen als einer der wenigen Möglichkeiten zur Alltagsflucht natürlich eine besondere Bedeutung zu. Und es gibt ja auch sehr gute Sendungen. Jetzt müssen diese neuen Akteure das Filmschaffen in den Ländern, in denen sie erfolgreich sind, unterstützen. Und wir sind stolz, dass Frankreich zu den ersten Ländern gehört, in denen eine Einigung erzielt werden konnte.

STANDARD: Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihre Arbeit?

Nakache/Toledano: Die Pandemie hat viel zerstört. Die Schließung von Kinos und Theatern ist ein herber Schlag für die Kulturwirtschaft im ganzen Land. Produktionen mussten unterbrochen oder ganz eingestellt werden. Die Frage stellt sich auch bei der Stoffentwicklung: Können wir noch dieselben Geschichten schreiben und die Pandemie einfach ausblenden?

STANDARD: Welche Serie empfehlen Sie in Zeiten des Lockdowns?

Nakache/Toledano: Auf Arte läuft gerade eine sehr interessante und wirklich witzige englische Serie: Inside N°9. Die können wir wärmstens empfehlen. (Doris Priesching, 4.2.2021)