Die untersagte Kundgebung am Sonntag tarnte sich teilweise als religiöse Veranstaltung. So manche Journalisten tarnten sich ebenfalls, um nicht angegriffen zu werden.

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Auch auf Schildern bei der Demo am Sonntag wurde die Stimmung gegen Pressevertreter deutlich.

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Was in anderen Ländern zum Alltag von Journalisten auf Demonstrationen gehört, macht nun auch vor Österreich nicht halt: Berichterstattung wird behindert, Pressevertreter werden verbal attackiert und körperlich angegriffen. Bei der untersagten Demo gegen die Corona-Maßnahmen am Sonntag in Wien kam es zu zahlreichen Übergriffen auf Journalisten. Deshalb riefen Journalistenvertreter am Dienstag zu einer Pressekonferenz, bei der Betroffene ihre Erfahrungen schilderten. Man sei wegen der dokumentierten Einschränkungen der Pressefreiheit "alarmiert" und um die Sicherheit der Journalisten besorgt, sagte Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia.

"Wir können nicht mehr sorglos berichten", erklärte die Puls-24-Reporterin Josephine Roek. Am Sonntag seien ihr Kamerateam und sie mehrmals von Demo-Teilnehmern beschimpft worden. Ihre Kamera habe wie ein "Anziehungspunkt" gewirkt, sagte Roek. Mehrmals habe sie ihre Position wechseln, einmal eine Liveschaltung sogar abbrechen müssen, weil Demonstranten Schilder in die Kamera hielten. So etwas habe ihr Team noch nie erlebt. "Es ist absurd, wenn wir uns als Reporter tarnen müssen", sagte Roek. Im Nachhinein habe sie Anfeindungen auf ihrem Facebook-Profil erhalten.

"Neue Qualität"

Arian Faal, Berichterstatter für das Magazin "Cercle Diplomatique", fühlte sich am Sonntag an die Gezi-Park-Proteste in der Türkei erinnert. Die Stimmung sei "emotional sehr aufgestachelt" gewesen. In Österreich habe er es "in dieser Qualität" noch nie erlebt, dass Journalisten von Demo-Teilnehmern gezielt fotografiert und anschließend ihre Namen im Internet veröffentlicht werden.

Besonders betroffen waren jene Journalisten, die sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene auseinandersetzen und auf vielen, auch kleineren Demos präsent sind. Etwa Michael Bonvalot, der am Sonntag eine "neue Qualität der Angriffe" wahrnahm, aber darauf hinwies, dass es schon seit längerem zu Rempeleien, Schlägen und anderen Übergriffen komme. Auch er sei am Sonntag von etwa zehn Personen verfolgt worden: Diese hätten seine Begleitperson verletzt. Nur weil er einem Angreifer die laufende Kamera hingehalten habe, habe dieser Abstand davon genommen, ihn zu schlagen, sagte Bonvalot.

Auch STANDARD-Videoredakteurin Verena Mischitz wurde von Demonstranten bespuckt, berichtet sie in der "ZiB 2" vom Montag.
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Der freie Journalist Lorenzo Vincentini berichtete, dass er mehrmals getreten und einmal direkt mit Pfefferspray angegriffen worden sei. Kritik gab es auch am Vorgehen der Polizei: Er werde regelmäßig mit Anzeigen "eingedeckt", sagte Vincentini. Besonders bei kleineren Demos, bei denen größere Medien nicht anwesend seien, gebe es wenig Schutz.

Eigene Security-Kräfte für Kamerateams?

Diesen Eindruck konnte die Buchautorin und "Profil"-Kolumnistin Ingrid Brodnig bestätigen: Menschen, die über Rechtsextreme recherchieren, gelten bei den Demonstranten als besonderes Feindbild, sagte Brodnig. Sie selbst war im vergangenen Sommer bei einer großen "Querdenker"-Demo in Deutschland dabei. Dort würden große Fernsehsender nur noch mit Security-Teams auf derartige Veranstaltungen gehen. Dass Journalisten nur noch behelmt berichten können, sei "kein Zustand, den man sich hier wünscht", sagte Brodnig.

Ein Vertreter des Innenministeriums zeigte sich von der Aggressivität auf der Demo überrascht: "Ich bin froh, dass wir diese Demonstration so zuwege gebracht haben, dass es keine unschönen Szenen gegeben hat", sagte Gerald Hesztera mit Verweis auf die relativ geringe Zahl an Verletzten. Er sei selbst auch in Zivil vor Ort gewesen und öfters angepöbelt geworden, weil er eine Maske trug. Hesztera appellierte an die anwesenden Journalisten, mit den Behörden über Verbesserungen zu kommunizieren. "Wir machen wirklich alles, damit sie geschützt sind", versicherte Hesztera.

Nehammer: "Nehmen Angriffe ernst"

In einer nächtlichen Pressekonferenz nach der sonntäglichen Demo mit rund 10.000 Teilnehmern hatte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) betont, dass man die Angriffe auf Journalisten (darunter auch das STANDARD-Videoteam) sehr ernst nehme, und eingeräumt, dass sich die Situation für die Polizei sehr schwierig gestaltet habe.

Bei der Großdemonstration am kommenden Sonntag stellt das Innenministerium wieder zwei Kontaktbeamte für Medien ab. Diese sollen bei drohenden Problemen und Zerwürfnissen zwischen Demo-Teilnehmern und Medien vermitteln. In einer Aussendung am Montag schrieb das Innenministerium noch, dass die Kontaktbeamten für Medien "aufgrund negativer Erfahrungen im Ausland" eingesetzt wurden. Spätestens seit Sonntag dürfte klar sein, dass es die Beispiele aus dem Ausland für derartige Schritte nicht mehr braucht. (Laurin Lorenz, 2.2.2021)