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Die Studierenden protestierten aus Solidarität mit zwei festgenommenen Kommilitonen.

Foto: Reuters / Murad Sezer

Istanbul – Nach zahlreichen Festnahmen bei Studentenprotesten in Istanbul befinden sich 60 Menschen weiter in Polizeigewahrsam. 99 der Festgenommenen seien wieder frei, sagte der Anwalt Gökhan Soysal.

Die türkische Polizei hatte am Montagabend nach offiziellen Angaben 159 Studenten und Studentinnen festgenommen, die an der Boğaziçi-Universität (Bosporus-Uni) in Istanbul friedlich gegen die Verhaftung zweier Mitstudenten protestiert hatten. Mit einem massiven Polizeiaufgebot wurde die Kundgebung vor dem Tor der Universität zerschlagen. Die Polizei war mit Wasserwerfern vor Ort, auf den umliegenden Dächern waren Scharfschützen postiert.

Die Polizei verhinderte auch, dass die Studierenden eine Presseerklärung abgeben konnten, indem Pressevertreter von der Kundgebung abgedrängt wurden. Nach Angaben der Zeitung "Hürriyet" wurden vor dem Tor der Uni 108 Demonstranten festgenommen.

Protest gegen Verhaftung von Kunststudenten

Als die Proteste später auf dem Campus der Universität fortgesetzt wurden, der nur von Studierenden und anderen Universitätsmitgliedern betreten werden darf, stürmte die Polizei das Universitätsgelände und nahm noch einmal 51 Studierende fest. Die Proteste sind eine unmittelbare Reaktion auf die Verhaftung von zwei Studenten der Kunstfakultät der Bosporus-Uni.

Der Polizei ist der Zutritt zum Universitätsgelände eigentlich untersagt.
Foto: AFP / Bulent Kilic

Die Fakultät hatte am vergangenen Freitag eine Ausstellung auf dem Campus organisiert, bei der eines der mehr als 300 Bilder die Moschee von Mekka mit einer Montage einer "anatolischen Schlangenfrau" und vier LGBTI-Fähnchen zeigte, was einen Sturm der Entrüstung unter Islamisten und Konservativen auslöste und zur Verhaftung von zwei angeblichen Organisatoren der Ausstellung führte.

Parteitreuer Rektor

Die Ausstellung war Teil einer Protestkampagne von Studierenden und Lehrenden der Universität, die sich dagegen wehren, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan ihnen zu Beginn des Jahres einen Rektor von außen aufgedrückt hat, der zudem ein strammer Parteigänger von Erdoğans Partei AKP ist.

Seit den ersten Jännertagen demonstrieren Studierende gegen diesen Eingriff in die Autonomie der Universität und die Freiheit der Lehre. Auch der überwiegende Teil der Lehrenden hat sich den Protesten angeschlossen. Um die Proteste einzudämmen, sind Kundgebungen auf dem Campus und vor der Universität bereits seit den ersten Demonstrationen Anfang Jänner verboten.

Solidarität trotz Demonstrationsverbots

Als Reaktion auf die Proteste vom Montag sind nun Demonstrationen in den an die Uni angrenzenden Bezirken bis einschließlich 5. Februar insgesamt verboten. Trotzdem geben die Mitglieder der Bosporus-Universität nicht auf. Etliche Studierende anderer Istanbuler Unis haben sich mit ihnen solidarisiert.

Auch in Izmir versuchten Anhänger der dortigen LBGTI-Szene, die Studierenden der Bosporus-Uni am Montag mit einer Demonstration zu unterstützen. Die Polizei ging brutal dagegen vor und nahm hier ebenfalls dutzende Menschen fest.

Keinerlei Kritik zugelassen

Seit dem Putschversuch im Sommer 2016 sind in der Türkei praktisch alle regierungskritischen Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Präsident Erdoğan lässt keinerlei Kritik mehr zu. Am Wochenende hat er bei einer Parteiversammlung angekündigt, er denke über eine neue Verfassung nach. Beobachter befürchten, dass er eine lebenslange Präsidentschaft durchsetzen will. (Jürgen Gottschlich, 2.2.2021)