Aus der Summe der menschlichen Ausscheidungen lassen sich Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ganzer Bevölkerungen ziehen – nicht nur, was Corona betrifft.
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In Kläranlagen wird von Menschen verschmutztes Wasser wieder sauber – sprich: Die Anteile an Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor werden wieder unter die zulässigen Grenzwerte gedrückt. Doch in Pandemiezeiten fällt den Kläranlagen noch eine weitere Rolle zu: Sie werden zur Informationsquelle. Abwasseranalysen geben Aufschluss über die Verbreitung der Viren und, zurzeit besonders relevant, auch ihrer Mutationen.

Der Kanal schreibt sozusagen sein eigenes Corona-Tagebuch. Die – medial kolportierten – Einträge darin aus der letzten Woche klingen brisant: 74 Prozent der Coronaviren, die man etwa im Abwasser von Bad Vöslau gefunden hat, gehören zur britischen Mutation B.1.1.7, die sich durch eine höhere Infektionsrate auszeichnet. Auch in Wien wurde die Mutante nachgewiesen, der Anteil liegt hier bei 17 Prozent.

Rückschlüsse aus dem Abwasser

Doch wie kommt es zu diesen Zahlen? Wie kann man aus dem Abwasser auf die Erkrankung rückschließen? Fragen wie diese haben zuletzt Norbert Kreuzinger vom Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement der TU Wien einige Aufmerksamkeit beschert. Er kümmert sich mit Kollegen und Forschern der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) um die Auswertungen.

Infizierte Menschen scheiden die Viren auch über ihre Exkremente aus. Um die so entstehende Virenlast im Abwasser bestimmen zu können, braucht es eine repräsentative Probe: "Alle größeren Kläranlagen nehmen gewöhnlich eine sogenannte 24-Stunden-Mischprobe", erläutert Kreuzinger. "Immer wenn zum Beispiel 20 Kubikmeter durch den Zulauf hereingekommen sind, wird eine kleine Menge abgeleitet und einer Sammelprobe hinzugefügt." Auch am Ablauf werden Proben genommen, um die Klärleistung der Anlage belegen zu können.

Viren in der Zentrifuge

Die Zulaufproben mit den Viren eines ganzen Kläranlageneinzugsgebiets kommen dann in ein Labor, in Kreuzingers Fall in sein Institutslabor im Wiener Arsenal. Hier durchlaufen sie eine aufwendige Aufbereitung.

"Die Viren sind kleiner als die meisten anderen Partikel – so klein, dass sie in der Flüssigkeit in Schwebe bleiben und sich auch längerfristig nicht absetzen", sagt Kreuzinger. Man muss also bei der Trennung nachhelfen – mit mehreren Zentrifugationsprozessen.

In einer ersten Runde werden gröbere Feststoffe abgeschieden: Fäkalpartikel, Papierfasern, Bakterien. In einem zweiten Durchgang wird die Flüssigkeit mithilfe einer chemischen Substanz dickflüssiger gemacht und so schnell im Kreis geschickt, dass die Zentrifugalkräfte dem 12.000-Fachen der Partikelmasse entsprechen. Das bewirkt, dass nun auch die Viren sedimentieren.

Das Ergebnis sind sogenannte Pellets: fingernagelgroße, milchige Objekte, die die kleinsten Teilchen beinhalten; gelöst und mit Enzymen versetzt werden diese Teilchen zerstört, dabei wird auch die Viren-RNA freigesetzt. Kreuzinger: "Dann hat man jede Erbinformation, die in der Probe vorhanden ist, in reinster Form in einem Tropfen Wasser."

PCR-Test

Diese Substanz wird nun – ähnlich wie bei Proben direkt vom Menschen – mittels PCR-Test auf die Erbinformation des Virus untersucht. Die einsträngige RNA wird zuerst zur doppelsträngigen DNA umgewandelt. Die Erbinformation des Sars-Virus wird dann gezielt mittels der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion immer wieder verdoppelt, und dabei wird ein fluoreszierender Farbstoff eingebaut. Die Antwort auf die Frage, ab dem wievielten Verdoppelungszyklus die Fluoreszenz messbar wird, zeigt schließlich die Virenmenge an.

Um auch auf Mutationen rückschließen zu können, sind vertiefende Analysen nötig. Sie werden bei der Ages und am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien umgesetzt. Es gibt zwei Verfahren: zum einen schnelle, aber weniger genaue Screenings, die nur über Mutationen Auskunft geben, nach denen gezielt gesucht wird, und andererseits zeitaufwendige volle Genomsequenzierungen samt bioinformatischer Auswertungen, die Informationen zu allen enthaltenen Varianten bringen. Auch Mengenverhältnisse lassen sich bei den Analysen abschätzen.

Die Daten, die mit diesen Methoden erhoben werden, lassen einige für das Management der Pandemie relevante Rückschlüsse zu. "Die Analyse kann etwa Entwarnung nach einer Clusterbildung geben", sagt Kreuzinger. Steht eine Ortschaft unter Quarantäne, kann man im Abwasser überprüfen, ab wann tatsächlich keine Neuinfektionen mehr stattfinden. "Testkampagnen können Lücken haben, auf die Toilette muss aber jeder", fasst Kreuzinger zusammen.

Frühwarnsystem

Gleichzeitig kann die Abwasseranalyse auch als Frühwarnsystem dienen. Eine Tendenz im Hinblick auf die Infektionsentwicklung ist bereits vor der Symptomentwicklung und oft auch, bevor viele Tests anschlagen, ablesbar. "Letzten Herbst war etwa, bereits eine Woche bevor die offiziellen Zahlen wieder stark hinaufgingen, ein entsprechender Anstieg im Abwasser nachweisbar", erinnert sich Kreuzinger.

In den letzten Wochen war allerdings ein interessantes Phänomen zu beobachten: Während die Kurven der Sieben-Tage-Inzidenz und der Virenlast im Abwasser bis Dezember parallel verliefen, koppelten sich die beiden Kurven danach mehr und mehr ab. Die Inzidenzkurve ging zurück, die Abwasser-Virenwerte blieben hoch.

Der Grund dafür ist noch unklar. "Bisher gibt es nur eine Arbeitshypothese, die noch in keiner Weise belegt ist", sagt Kreuzinger. "Es ist aber auffällig, dass das Phänomen mit dem Auftauchen der B.1.1.7-Mutation zusammenfällt. Wenn Personen, die mit dieser Variante infiziert sind, auch mehr Viren ausscheiden, könnte das ein erklärender Hinweis sein."

Der genaue Blick in den Kanal, den die Corona-Krise anstieß, könnte durchaus auch langfristige Folgen für das Gesundheitsmanagement haben. Bisher wird mittels Abwasserdaten etwa die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen beobachtet. Künftig könnte das Monitoring aber ausgebaut werden, um weitere Krankheitserreger und Gesundheitswerte zu erfassen. Und natürlich werden die heute entwickelten Praktiken auch im Management künftiger Pandemien gefragt sein. (Alois Pumhösel, 3.2.2021)