Die "Stimmung kippt", die Bevölkerung leidet unter "Lagerkoller" (Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer), (Klein-)Handelsbetriebe und viele, viele kleine Dienstleister stehen vor dem Ruin, mächtige ÖVP-Klientelvertreter machen enormen Druck. Rechtsextreme und Aluhutträger ziehen normale Bürger zu Corona-Demos an. Deshalb hat die Regierung den Lockdown gelockert, obwohl die Ansteckungszahlen das überhaupt nicht hergeben.

Es ist eine Lockerung mit Bauchweh. Und es wird nicht gut ausgehen, wenn man die Stellungnahmen der Wissenschafter dazu betrachtet. Es geht auch der Regierungschef davon aus, dass es nicht gutgehen könnte.

In seiner Pressekonferenz Montagabend und in einer Reihe von anschließenden Tweets ließ Sebastian Kurz kaum einen Zweifel daran:

"Bitte verstehen Sie diese Lockerungen nicht als Entwarnung. Wenn die Zahlen steigen, dann werden wir sofort wieder verschärfen müssen. Wie lange das dauert, bis die Zahlen ansteigen – das hängt von uns allen ab und davon, wie wir uns verhalten – vor allem im privaten Bereich!"

Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der Pressekonferenz Montagabend.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Und gleich noch zweimal hinterher: "Die Ansteckungszahlen hängen nur bedingt von den Entscheidungen ab, die wir heute getroffen haben. Ob die eine oder andere Branche offen oder zu ist – all das hat Auswirkungen, keine Frage. Aber viel wichtiger ist es, wie sich jeder Einzelne privat verhält!"

"Unsere große Bitte: Bleiben Sie gerade im privaten Bereich vorsichtig und vermeiden Sie soziale Kontakte! Damit wir eine Chance haben, dass diese vorsichtigen Öffnungen auch Bestand haben können."

Ansteckendere Varianten

Der Kanzler sagt uns auf der einen Ebene also, dass wir damit rechnen müssen, dass die Zahlen durch die Lockerung wieder steigen. Auf der zweiten, impliziten Ebene sagt er uns, dass wir selbst schuld sind, wenn es wieder dramatisch wird. Anders lässt sich sein dreimaliger Hinweis auf das "private Verhalten des Einzelnen" kaum interpretieren.

Natürlich kommt es auf das private Verhalten an. In der ZiB 2 ließ der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka keinen Zweifel daran, dass "wir uns extrem zusammenreißen müssen, um nicht eine dritte Welle und einen vierten Lockdown" zu erleben. Subtext: Das werden wir kaum schaffen.

Die Problematik wird dadurch verschärft, dass sich die ansteckenderen Varianten des Virus ("britische", "südafrikanische") ausbreiten und wohl im März die Oberhand behalten werden.

Der Virologe Andreas Bergthaler: "Die absoluten Zahlen steigen bisher nicht in Österreich. Jedoch verdrängen die Varianten kontinuierlich die herkömmlichen Viren. Das lässt vermuten, dass der bisherige Lockdown zwar funktioniert, aber nicht effektiv genug für Varianten mit erhöhter Infektiosität ist." Trotzdem geht die Regierung das Risiko der Lockerungen ein. Es ist auch in gewisser Hinsicht nachvollziehbar. Die psychische und materielle Belastung der Bevölkerung ist real, die Disziplin lässt wohl nach (obwohl: In den Wiener Öffis tragen alle ausnahmslos FFP2-Masken).

Aber nach einem Jahr der Auf-zu-Politik gehen wir in eine neue "Schauen wir einmal"-Politik hinein, ohne strukturierten Plan und mit der vorsorglichen Schuldzuweisung des Kanzlers an uns. (Hans Rauscher, 2.2.2021)