Einer der Bewohner des Marmoset Labs an der Uni Wien: Hier wurden Weißbüschelaffen im Abstand von vier Jahren Persönlichkeitstests unterzogen.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Während man Persönlichkeit früher nur Menschen zugestand, ist mittlerweile klar, dass auch Tiere individuelle Unterschiede in ihrem Verhalten aufweisen. Von Insekten über Tintenfische, Fische und Vögel bis zu verschiedensten Säugern konnte gezeigt werden, dass einzelne Tiere sich neugieriger, aggressiver oder ängstlicher verhalten als Artgenossen aus derselben Population.

Zahlreiche Aspekte der tierischen Persönlichkeit sind jedoch nach wie vor ungeklärt. An der Universität Wien stehen diesbezüglich Weißbüschelaffen im Fokus der Forschung.

Vedrana Šlipogor vom Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien befasst sich bereits seit mehreren Jahren mit den kleinen Primaten. Dabei konnte sie zeigen, dass sich dieselben Individuen in bestimmten Testsituationen immer wieder gleich verhalten, also tatsächlich Persönlichkeit aufweisen: So begegnen manche Tiere einem unbekannten Objekt eher mit Neugier, während andere es aktiv vermeiden.

Ebenso verhalten sich manche Individuen in einer ungewohnten Umgebung eher forsch, andere ängstlich, oder sie gehen einer potenziellen Gefahr entgegen, statt ihr auszuweichen – ganz ähnlich wie wir das auch von Menschen kennen.

Spielzeugtests

Wenig untersucht ist bisher, ob sich die Persönlichkeitsstruktur von Tieren mit der Zeit ändert und ob es diesbezüglich Unterschiede zwischen Tieren in menschlicher Obhut und ihren Artgenossen in freier Wildbahn gibt. "Es wäre zum Beispiel denkbar, dass sie in Gefangenschaft ein geringeres Persönlichkeitsspektrum zeigen, weil es keine Raubtiere und immer viel Futter gibt", wie Šlipogor sagt.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, unterzogen sie und Kollegen an Menschen gewöhnte, aber freilebende Weißbüschelaffen in Brasilien denselben Tests wie die Bewohner des Weißbüschelaffen-Labors (Marmoset Lab) der Universität Wien: Die Tiere wurden mit einem unbekannten Objekt in Form von buntem Plastikspielzeug und mit einem unbekannten Nahrungsmittel konfrontiert. Weiters erhielten sie eine Delikatesse – in dem Fall eine Banane –, wurden jedoch beim Fressen durch ein fahrendes Spielzeugauto unterbrochen.

Vedrana Šlipogor bei der Feldforschung mit freilebenden Weißbüschelaffen in Brasilien.
Foto: privat

In der Folge wurde festgehalten, wie rasch die einzelnen Affen nach dem "Schock" wieder an die Futterstelle zurückkehrten. Zuletzt wurde ihre Reaktion auf einen Fressfeind getestet, im konkreten Fall eine im Laub verborgene Plastikschlange. Die wilden Affen reagierten in allen Tests ganz ähnlich wie ihre Artgenossen in Gefangenschaft.

An den Wiener Affen führte Šlipogor diese Tests zweimal im Abstand von vier Jahren durch, um zu sehen, ob sich ihre Persönlichkeit in dem Zeitraum verändert hatte. "Die Affen werden in menschlicher Obhut zwölf bis 18 Jahre alt", sagt Šlipogor, "da sind vier Jahre eine lange Zeit. Gewöhnlich untersucht man nur Zeiträume von ein paar Wochen."

Sozialer Aufstieg

Tatsächlich trat durch die lange Pause zwischen den Experimenten ein ungeahnter Zusammenhang zutage: Während die meisten Affen keine nennenswerten Persönlichkeitsveränderungen zeigten, benahmen sich Tiere, die in der Zwischenzeit sozial aufgestiegen waren, merklich anders: Weißbüschelaffen leben in Familiengruppen aus einem Elternpaar und dessen – auch erwachsenem – Nachwuchs zusammen, wobei sich nur das dominante Paar fortpflanzt; die anderen helfen bei der Jungenaufzucht. Tiere, die innerhalb der vier Jahre Fortpflanzungsstatus erlangt hatten, verhielten sich wagemutiger als zuvor.

Um die Frage, wie sich Persönlichkeit stammesgeschichtlich entwickelt hat, näher zu beleuchten, verglichen Šlipogor und ihre Kollegin Michaela Masilkova von der Südböhmischen Universität in Tschechien die Persönlichkeitsstrukturen von drei verschiedenen Affenarten, nämlich in Gefangenschaft lebenden Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus), Rothandtamarinen (Saguinus midas) und Lisztaffen (Saguinus oedipus).

Alle drei gehören zur Familie der Krallenaffen, doch während Rothandtamarine und Lisztaffen beide Angehörige der Gattung Saguinus sind, fallen Weißbüschelaffen unter die Gattung Callithrix. Die entwicklungsgeschichtlichen Wege der beiden Gattungen haben sich vor rund 14 Millionen Jahren getrennt, die der Rothandtamarine und der Lisztaffen vor rund fünf Millionen.

Vergleich unter drei Arten

Alle drei Affenarten bewohnen Südamerika, sind klein und leben in Gruppen zusammen, die den Nachwuchs gemeinschaftlich aufziehen. Es gibt allerdings auch Unterschiede: Weißbüschelaffen bilden größere Gruppen und besiedeln verschiedenste Lebensräume, während die beiden anderen Arten hauptsächlich Regenwälder bewohnen.

Ist Persönlichkeit eine Frage der Abstammung, sollten die näher verwandten Rothandtamarine und Lisztaffen mehr Ähnlichkeiten aufweisen. Andererseits kann das Persönlichkeitsspektrum einer Art auch von ihrer Lebensweise abhängen: Dann könnten Spezies mit ähnlichen Umweltbedingungen mehr Überlappungen haben als nah verwandte.

Wie sich herausstellte, ähneln sich alle drei Arten in puncto Extrovertiertheit und Durchsetzungsvermögen, doch erwiesen sich die Lisztaffen als weniger verträglich. Die größte Übereinstimmung gab es zwischen den weniger nah verwandten Weißbüschelaffen und den Rothandtamarinen.

Das passt zu Beobachtungen in freier Wildbahn: Sowohl Weißbüschelaffen als auch Rothandtamarine tun sich manchmal vorübergehend mit unbekannten Artgenossen zusammen, wohingegen Lisztaffen fremde Tiere gewöhnlich vertreiben. (Susanne Strnadl, 5.2.2021)