Schneebrettlawinen können gewaltige Dimensionen annehmen: Anrisskante auf dem Vorderen Grieskogel im Tiroler Kühtai.

foto: lukas ruetz

Günter Karnutsch, Chef der Salzburger Bergführer, sagt es gerade heraus: "Es ist viel Glück, dass nicht mehr passiert ist." Dabei sind die Zahlen der vergangenen Tage erschreckend genug: Fünf Verschüttete in Tirol, einer in Salzburg konnten im Zeitraum von vergangenem Samstag bis Montag nur tot aus der Lawine geborgen werden.

Was Karnutsch mit "viel Glück" meint, wird deutlich, wenn man die offiziell registrierten Lawinenunfälle des vergangenen Monats als Maßzahl nimmt. Laut Bernhard Niedermoser, Chef der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) für Salzburg und Oberösterreich, wurden österreichweit 182 Lawinenauslösungen mit Personenbeteiligung registriert; 247 Menschen wurden dabei erfasst oder verschüttet, insgesamt acht überlebten den Lawinenunfall nicht.

Warum es im ersten Monat des Jahres so viele Lawinenauslösungen gegeben hat, fasst der Tiroler Skibergsteiger und Lawinenausbildner Lukas Ruetz in seinem Blog für den Alpenverein in einem Satz zusammen: "So eine heimtückische Situation gibt es nur alle paar Winter."

Altschneeproblem

Die Hintergründe erklärt der Salzburger ZAMG-Chef und Leiter des Lawinenwarndienstes Niedermoser vereinfacht so: Einerseits habe es im Großteil von Tirol, Salzburg, Oberösterreich und der Steiermark relativ wenig geschneit, die Schneedecke sei im Gebirge sehr dünn gewesen. Während der Schönwetterperiode zum Jahreswechsel sei es bei klarem Wetter in der Nacht kalt geworden.

Sieht verlockend aus, erfordert aber lawinenkundliches Beurteilungsvermögen: Tiefschneeabfahrt im Salzburger Lungau Ende Dezember 2020.
foto: thomas neuhold

Durch den steilen Temperaturverlauf in der Schneedecke entstehe "Zuckerschnee" – eine Art bindungsloser Tiefenreif. Im Lawinenlagebericht werde das dann als "Altschneeproblem" klassifiziert. Nur ganz im Süden des Landes, also in Kärnten und Osttirol, sei angesichts der mächtigeren Schneedecke das Altschneeproblem nicht gravierend, ergänzt Niedermoser.

Klassische Schneebretter

Andererseits sei der Schnee der vergangenen Tage bei teils orkanartigem Wind gefallen. Der Schnee werde über Kämme und Grate geblasen und dann abgelagert. Im Lawinenlagebericht firmiere das als "Triebschnee". Damit sei dann eine weitere Schwachschicht, eben die typischen Schneebretter, oberhalb der Zuckerschneeschicht entstanden.

Lawinenblogger Ruetz fasst die Situation knapp zusammen: "Die Amerikaner würden sagen, die Schneedecke ist extrem 'touchy' – also richtig berührungsempfindlich." Dazu komme noch eine eher ohne Windeinfluss gefallene, schöne Pulverschneeauflage obendrauf, die alle Gefahrenzeichen zudecke.

"An Wochenenden wie dem vergangenen werden dann eben mehr Leute auf diese Schwachschichten losgelassen", ergänzt ZAMG-Experte Niedermoser. Und das führe dann zu der Häufung tödlicher Unfälle.

In einem sind sich aktuell alle Experten einig: Der einzige Ratschlag, für Skitourengeher und Variantenfahrer derzeit lautet "Zurückhaltung". Oder wie Ruetz auf der Alpenvereinsseite schreibt: "Geduld, der Winter ist noch lang."

Es fehlt an der Ausbildung

Wobei Salzburgs Bergführerchef Karnutsch die Lage auch nicht über Gebühr dramatisieren will. Gemessen an der Menge der Leute, die im Gelände unterwegs sei, passiere "wirklich wenig". Der ehemals langjährige Schnitt von 25 Lawinentoten pro Jahr in Österreich sei in den vergangenen zehn Jahren auf 18 bis 19 gesunken. Viele der Newcomer seien "in den bekannten Hotspots" auf Tour und damit vergleichsweise sicher aufgehoben.

Derzeit heißt das Motto: Geduld und Verzicht. Steilgelände wie im Bild von Anfang Jänner 2021 ist derzeit zu meiden.
foto: thomas neuhold

Was Karnutsch aber Sorgen bereitet, ist die mangelnde Ausbildung der Skitourengeher. Zwar sei die Ausrüstung der meisten inzwischen um vieles besser geworden, der Prozentsatz jener, die beispielsweise mit dem Verschüttetensuchgerät auch umgehen können, sei aber sehr gering. Auch an der Tourenplanung mangle es erheblich: Viele würden einfach nur einer bereits vorgegebenen Spur oder einem im Internet veröffentlichten Track nachrennen.

Skitouren wie Tauchen

Karnutsch kritisiert vor allem die Einheimischen: Die Bereitschaft, sich fortzubilden, sei bei den Deutschen größer ausgeprägt als bei den Österreichern. "Es reicht aber nicht, in Salzburg oder Innsbruck geboren zu sein", sagt der Bergführer. Schließlich seien Skitouren genauso eine "lebensgefährliche Sportart" wie etwa Tauchen; da komme auch niemand auf die Idee, ohne Ausbildung in die Tiefe zu gehen. (Thomas Neuhold, 3.2.2021)