Einen sehr wichtigen Test hat Celeste Epiphany Waite schon bestanden. Elton John hat sich als Fan ihrer Musik geoutet. Nun könnte man natürlich fragen, was und wer im Popgeschäft Elton John eigentlich nicht gefällt, wenn er nur jünger als 30 ist, nicht zu viel zu brülligem Gitarrenrock herumschreit und einen Gesangston ohne Autotune trifft. Allerdings kann man dem Sänger seit seiner hobbymäßigen Tätigkeit als Musikjournalist für die Zeitschrift Interview in den Nullerjahren eines sicher nicht unterstellen: Man kann nicht behaupten, dass Elton John keine Ahnung vom Geschäft hätte. Die Rede ist vom großen Popgeschäft.

Im Fall von Celeste dürfte er mit seiner Einschätzung goldrichtig liegen. Mit dem Gewinn des Rising Star Award bei den renommierten Brit Awards und dem BBC Music’s Sound of 2020 als vielversprechendste Newcomerin dürfte zumindest in ihrer Heimat eine solide Mainstream-Karriere gesichert sein.

Das künstlerische und geschäftliche Modell hat sich über die Jahrzehnte speziell in Großbritannien bewährt. Celeste fügt ihm mit ihrem nun vorliegenden Debütalbum Not Your Muse wenig Neues hinzu. Es wird sich alles ausgehen. Der breiten Hörerschaft dürften die Referenzgrößen bekannt sein. Über Adele, Amy Winehouse, Duffy, Joss Stone und wie sie alle geheißen haben, geht es da schon einmal zurück bis in die graue Vorzeit zu Lisa Stansfield oder noch weiter zu Dusty Springfield.

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In diese Kerbe schlägt auch Celeste. Mit rauer, kräftiger Stimme wird zu 2021 zeitgenössisch ein wenig knallig auffrisierten Beats einmal mehr der gute alte Retrosoul bemüht. Retrosoul kann man immer verkaufen. Speziell auch, wenn hier für die erst einmal weibliche Zielgruppe Selbstermächtigungs- und Bekenntnisschlager produziert werden, die die Presse auf der Insel zu Vergleichen mit Aretha Franklin, Nina Simone oder Billie Holiday treiben. Dazu muss man fairerweise sagen, dass sich das mit Aretha Franklin nicht rechnet – und statt Billie Holiday wäre wohl ein Vergleich mit Celestes älterer britischer Kollegin Sadé Adu angebrachter.

Trinkspiel für Hotelbars

Aber nachdem dieses Album nun ein gutes Jahr wegen der Pandemie und der schwierigen Vermarktung über keine Tournee und keine TV-Auftritte (sowie ein wenig zu viel Majorlabel-Herumpfuscherei in der Produktion) auf Eis gelegen ist, kann die 26-jährige in Los Angeles geborene und im britischen Brighton aufgewachsene Sängerin mit den jamaikanischen Wurzeln vielleicht 2022 eine Staunen machende Arbeit abseits von Musik für Hotelbars nachlegen. Man kann in vielleicht wieder einmal geöffneten Hotelbars übrigens ein schönes Trinkspiel veranstalten. Wer richtig errät, nach wie vielen Songs ab dem Betreten der Bar Smooth Operator von Sadé Adu oder Careless Whisper von George Michael aus den Boxen träufelt, hat gewonnen. Dieses zukünftige Potenzial kann man Celeste durchaus auch zugestehen.

Mit kräftiger, rauer Stimme walzt Celeste aus dem britischen Brighton in Songs wie "Stop This Flame" jeden etwaigen Widerstand eines Lovers erfolgreich nieder.
Foto: Universal/Mia Clark

Zumindest ist im Albumstarter Ideal Woman der Mix aus weiblichem Selbstbewusstsein, jazziger Ballade mit Akustikgitarre und Beserlschlagzeug und schlurfendem Bass schon einmal nicht ganz schlecht: "I may not be your ideal woman / The heaven in your head / The one that’s gonna save you / From all your miscontent." Für diesen Job sei Celeste schlichtweg zu stolz, zu groß, zu schön. Außerdem sei sie ganz schlecht darin, etwas vorzutäuschen.

Widerstand ist zwecklos

Neben zarten Einflüssen aus dem modernen R’n’B und natürlich ganz toll viel Jazz, Jazz, Jazz, der die Sängerin, wenn sie so weitermacht, in 25 Jahren vielleicht sogar zum Jazzfest Wien führen könnte, sind vor allem die heftigeren Stücke mit Bläsersatz die interessanten. Immerhin kann man den Willen, gegenüber uns kein falsches Zeugnis abzulegen, auch im vielleicht besten Stück der Platte hören. Celeste kommt in Stop This Flame mit einem von einem alten Klaviermotiv von Nina Simone samplingmäßig befeuerten rhythmischen Rollkommando über ihren Lover. Der soll nachdrücklich davon überzeugt werden, dass der anhaltende Widerstand gegen Celestes Liebe völlig sinnlos sei. Der gute Mann hat keine Chance auf Abwehr: "You tell me to stop but I keep going (...) You’ll never stop this flame / I will never let you go."

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Nicht ganz überraschend beschäftigt sich Celeste zwischendurch auf Not Your Muse auch weniger übergriffig mit dem Thema Nummer eins. "I tried for you", ist da an einem Songanfang zu hören. "I was listening to love songs no one listens anymore", auf einem anderen. Dazu kommt dann etwa noch: "Love is back" oder "I heard lightning don’t strike twice / Could you be the man of my dreams or nothing alike / With your hand on my thigh but my heart doesn’t mind."

Nach zwölf Liedern fühlt man sich dann doch recht gut informiert. Die Luxusedition des Albums bietet für Unentwegte danach noch das Frühwerk von Celeste sowie ihren Beitrag zum Netflix-Film The Trial of the Chigago 7: Hear My Voice. Möglicherweise haben die jungen Leute von heute schon recht, wenn sie keine Alben mehr hören, sondern nur die darauf enthaltenen zwei, drei wirklich guten Stücke. Stop This Flame bügelt einen, wie gesagt, auf angenehme Weise nieder. Liebe ist die größte Kraft, die alles schafft. (Christian Schachinger, 3.2.2021)