Ronald Kramer, der Vater von Skispringerin Marita, liebt die Berge. Warum, das weiß der 54-Jährige nicht, vielleicht liegt es auch daran, dass Dinge, die man nicht hat, einen speziellen Reiz ausüben. Als gebürtiger Niederländer ist es kompliziert, diese Sehnsucht zu stillen, die höchste Erhebung misst dort 322 Meter. Darüber lacht sogar der Wiener Kahlenberg. 2008 beschloss die Familie Kramer, bestehend aus Vater, Mutter zwei Söhnen und zwei Töchtern, Apelddoorn zu verlassen. Sie betrieben dort eine Partylocation, verkauften die Hütte und noch mehr, wanderten nach Maria Alm in Salzburg aus. Während eines Urlaubs hatten sie sich in den Ort verliebt. Weil der Hochkönig ein richtiger Berg ist. Ronald wurde Hotelier, das gemütliche "Sonnenlicht" liegt direkt an der Piste. Derzeit ist es zugesperrt. Ronald Kramer lehnt es ab zu jammern. "Corona trifft jeden. Es wird schon wieder."

Schnuppern

2009 wurde die Familie von einem Schicksalsschlag getroffen. Mutter Anneke starb an Brustkrebs. Marita, die innerfamiliär "Sara" genannt wird, war acht Jahre alt. Ronald Kramer: "Wir haben Trauerarbeit geleistet, sind noch näher zusammengerückt."

Weitenangst hat Marita Kramer nicht, sie springt der Konkurrenz davon.
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Marita hatte damals schon die ersten Sprünge absolviert. Es war ein Schnuppertag, Volksschulkinder aus Maria Alm und Umgebung nahmen daran teil. Marita ist auf den Geschmack gekommen. Ihr Talent konnte sie dem ÖSV nicht verbergen, der Weg war vorgezeichnet, der Skiklub Saalfelden hatte eine zusätzliche Perspektive. Und der Vater hatte nichts dagegen. "Wenn dein Kind etwas unbedingt will, musst du es unterstützen." 2015 Alpencup, Kontinentalcup, 2017 Debüt im Weltcup, erster Weltcupsieg im Jänner 2020 in Sapporo. Und drei Goldmedaillen bei der Junioren-WM in Oberwiesenthal.

"Es ist harte Arbeit"

Am vergangenen Wochenende gewann die 19-jährige Marita zwei Weltcupspringen in Titisee-Neustadt. Zum Saisonauftakt hatte sie in Ramsau gesiegt, in den bisher vier Bewerben stand sie also dreimal ganz oben auf dem Podest. Einmal wurde sie Dritte. Da wird man dann in den Medien "Überfliegerin" genannt. "Fliegende Holländerin" wäre eine Alternative, aber die ist zu aufgelegt, zu banal. Ihr Vater möchte sie nicht als "Jahrhunderttalent" bezeichnen: "Es sieht einfach aus, ist aber harte Arbeit. Sie gibt mehr als hundert Prozent, setzt sich Ziele, die sie dann beinhart verfolgt." Verbissen sei sie aber nie. "Sie genießt den Erfolg richtig."

"Ein Stück Niederlande steckt noch in mir", sagt Marita Kramer. Vor allem kulinarisch, die Doppelstaatsbürgern mag Bitterballen und Kroketten, wobei Palatschinken durchaus mithalten können. Skispringen heißt in den Niederlanden "Schansspringen". Es ist wirklich nur ein Gerücht, dass der nationale Skiverband um Marita buhlt. Wäre sie Eisschnellläuferin, wäre die Lage etwas anders. Wobei es schon eine Sprungschanze gibt, der Weitenrekord liegt bei 29 Metern. Der erste Niederländer bei einer WM war übrigens Peter van Hal, 1995 im kanadischen Thunder Bay Letzter von der großen und Vorletzter von der kleinen Schanze.

Kramer genießt den Erfolg, solange er da ist.
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Familiär

Ronald Kramer stellt klar: "Österreich hat für uns Superleistungen geliefert, wir sind dankbar, es ist unsere Heimat, wir geben zurück." Die um zwei Jahre jüngere Schwester Femke ist hoffnungsvolle Biathletin, sie nahm 2020 an den Olympischen Jugendspielen in Lausanne teil. Ein Bruder trainiert übrigens die Fußballer von Maria Alm.

Am Wochenende stehen in Hinzenbach, Oberösterreich, gleich drei Weltcupbewerbe an. Aufgrund der Pandemie mussten speziell bei den Frauen mehrere Konkurrenzen abgesagt werden. Es herrscht Nachholbedarf. Marita Kramer, sie misst 1,71 Meter und wiegt 52 Kilogramm, ist dreimal Favoritin. "Ich bin sehr happy, dass es so gut läuft. Ich bin froh, dass ich die Belohnung für die viele Arbeit bekomme", sagt sie. ÖSV-Cheftrainer Harald Rodlauer schätzt die Einstellung seiner Paradeathletin. "Sie will immer das Optimale erreichen. Generell ist bei uns der Teamgeist herausragend."

Zimmer mit Legende

Auf Reisen teilt Marita Kramer das Zimmer mit Skisprunglegende Daniela Iraschko-Stolz. Die 37-Jährige sagt: "Wir haben Spaß, profitieren voneinander." Vielleicht sprechen sie auch über Höhenangst. Denn Marita leidet daran. In Klingenthal muss man quasi über eine freischwebende Treppe rauf auf den Schanzenturm steigen. Für Kramer jedes Mal ein Horrortrip. "Ich habe gelernt, mich zu überwinden."

Sie streitet nicht ab, in rund drei Wochen bei der WM in Oberstdorf Top-Anwärterin auf Gold zu sein. "Jetzt ist Hinzenbach. Leider gibt es keine Zuschauer, aber ich bin sehr froh, dass wir springen dürfen." Vater Ronald ist nicht vor Ort. Wegen Corona. "Ich drücke vor dem Fernseher die Daumen." Und irgendwann, sagt er, "sperrt das Sonnenlicht wieder auf". (Christian Hackl, 2.2.2021)