Flankiert von den Büsten der Amtsvorgänger Abraham Lincoln (li.) und Harry S. Truman geht Joe Biden in Washington jeden Tag seiner Arbeit als mächtigster Mann der Welt nach.

Foto: Alex Brandon

Einerlei, von welchem US-Präsidenten gerade genutzt: Das Oval Office ist das bekannteste Arbeitszimmer der Welt. Es repräsentiert das Amt und den Raum als Schaltzentrale einer Weltmacht, deren Anführer hier regelmäßig Hof hält und Regierungsvertreter anderer Nationen empfängt, womit es auch den Zweck eines Audienzzimmers erfüllt.

Was hier an den Wänden hängt, auf Kommoden und Konsoltischen steht oder in den Regalen zu sehen oder zu lesen ist, ist also von übergeordneter Bedeutung. Tatsächlich ist Symbolik hier alles. Auch Geschenke ehemaliger Staatsgäste, teilweise Staubfänger aus Porzellan, die man auf Beistelltischen platziert: der Wertschätzung wegen. Wer will beim nächsten Fotoshooting schon unbeabsichtigt einen diplomatischen Disput auslösen, bloß weil ein Vaserl in ein Lager verbannt wurde. Kurz und gut: Hier hat alles seinen Platz.

Der persönliche Geschmack des Amtsträgers spielt dabei eine untergeordnete Rolle, die politische Zugehörigkeit dagegen die überwiegende. Dem Zufall ist deshalb rein gar nichts überlassen, vielmehr wird die Auswahl der Objekte wie auch die gesamte Ausstattung vom Teppich bis zu den Vorhängen von der First Lady koordiniert. Schließlich geht es um Chiffren für das individuelle Amtsverständnis.

Bühnenreife

Mit jeder Regierung wechselt folglich die Inneneinrichtung alle vier Jahre, meist auch bei einer zweiten Amtszeit, wie zuletzt bei Barack Obama. Das Auffälligste in seinem Fall war nicht nur der merklich modernere Stil, auch bei den Kunstwerken, sondern die Fensterkleider, die den Schreibtisch bühnengleich akzentuierten. Sie wechselten von Goldbrokat in ein sattes, dunkles Rot.

Als Donald Trump einzog, wurde die güldene Draperie wieder hervorgeholt. Seine Rivalin Hillary Clinton hatte sie einst für die Ausstattung in der Amtszeit ihres Ehemannes Bill Clinton in Auftrag gegeben. Ein Klassiker, den die Literaturwissenschafterin Jill Biden beibehielt und um den dunkelblauen Teppich aus der Clinton-Ära ergänzte, bis – wie üblich – ihr eigener Entwurf produziert wurde.

In den ersten Sequenzen der TV-Übertragungen, die Joe Biden am 20. Jänner am Schreibtisch zeigten, fiel der Blick auf die zahlreichen Fotos seiner Familie im Hintergrund. Mittendrin steht eine Büste auf dem Sidetable, die César Chávez, Bürgerrechts- und Arbeiterführer lateinamerikanischen Herkunft, mit geneigtem Haupt zeigt.

Arbeiterfreund

Die Skulptur stammt, entgegen den Gepflogenheiten, weder aus dem Inventar des Weißen Hauses noch aus dem Bestand eines Museums. Vielmehr handelt es sich um eine Privatleihgabe von Chávez’ Sohn. Einer Anfrage aus dem Stab Bidens folgend, hatte er einer Leihgabe zugestimmt und die Büste seines Vaters quer durchs Land transportieren lassen. Dass sie derart prominent platziert wurde, hatte ihn völlig überrascht. Biden zollte damit dem Gründer der US-amerikanischen Landarbeitergewerkschaft United Farm Workers Tribut, dessen Geburtstag am 31. März in mehreren US-Bundesstaaten als gesetzlicher Feiertag gilt.

Vom Schreibtisch aus gesehen, hängt rechter Hand ein Gemälde des amerikanischen Impressionisten Childe Hassam, das die beflaggte Fifth Avenue im Regen zeigt, darunter eine Büste Abraham Lincolns, die seit Generationen – und auch unter Trump – zur Fixausstattung gehör(t)en. Die Fensternische, mit Blick in den Rosengarten, ziert eine Büste der afroamerikanischen Bürgerrechtskämpferin Rosa Parks. Rechts vom Schreibtisch hängt ein Porträt Benjamin Franklins, darunter steht eine Büste von Harry Truman. Trump hatte dort, statt Franklin, den historisch deutlich kontroversielleren Andrew Jackson unverwandt im Blick.

Ironischerweise war Jackson der Gründer der Demokratischen Partei, aber auch ein Populist, ein vehementer Verteidiger der Sklaverei und auch für den Völkermord an amerikanischen Ureinwohnern verantwortlich.

Eismeergeeicht

Der Schreibtisch ist seit vielen Jahren derselbe: aus solider Eiche, den Queen Victoria aus den Resten des britischen Arktis-Erkundungsschiff HMS Resolute fertigen ließ und 1880 Präsident Rutherford B. Hayes schenkte. Von dort aus arbeitet Joe Biden Auge in Auge mit Franklin D. Roosevelt, dessen Porträt gegenüber oberhalb des Kamins hängt: Der Nr. 32 (1933–1945) war es inmitten der Großen Depression einst gelungen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung wiederherzustellen. (Olga Kronsteiner, 3.2.2021)