In Denver, Colorado, wurde der Parkplatz des Coors Field Baseball Stadium zur Impfstraße. Im "Drive-in-Modus" konnten dort am vergangenen Wochenende über 10.000 Menschen geimpft werden.

Foto: AFP / Chet Strange

Seit Wochenbeginn wird auch im Fenway Park geimpft. "This is our shot", ist auf einer Leuchttafel über dem Domizil der Red Sox zu lesen, jener altehrwürdigen Arena in Boston, die manche ehrfürchtig die "Kathedrale des Baseballs" nennen. Mit dem "shot" ist der Stich in den Oberarm gemeint, aber man kann den Spruch auch anders deuten: aufrüttelnder, optimistischer. Nach dem Motto, dass sich nach langer Durststrecke die Gelegenheit bietet, der Corona-Malaise zu entrinnen.

In den Katakomben des Stadions, wo sonst Hotdogs, Buffalo-Wings und Pizza verkauft werden, haben Mediziner die Regie übernommen. Anfangs werden 500 Dosen pro Tag verabreicht, in zwei Wochen sollen es 1250 sein.

Der Fenway Park als Impfzentrum: Symbolisch – in der Eigenwerbung der zuständigen Politiker – steht es für einen Kraftakt, der nun endlich, mit Verspätung, beginnt. Wie anderswo auch verlief der Impfstart in den USA eher holprig. Zwar hatte die mittlerweile vormalige Regierung Donald Trumps, schneller handelnd als die schwerfälligere EU, relativ früh Verträge über Impfstofflieferungen abgeschlossen. Konsequenter als in Brüssel war man in Washington bereit, auf die Produkte von Biontech und Moderna zu setzen – wohl auch deshalb, weil ein Land mit einer ausgeprägten Start-up-Kultur wie die Vereinigten Staaten von Amerika generell eine höhere Risikobereitschaft an den Tag legt.

Täglich 1,5 Millionen

Nach Angaben der Seuchenschutzbehörde CDC haben, Stand Dienstag, 27 Millionen Amerikaner, etwa ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung, die erste Dosis des Vakzins erhalten. Täglich kommen 1,5 Millionen hinzu, wobei regionale Unterschiede ins Auge stechen. An der Spitze rangiert Alaska mit einer Impfquote von 13,2 Prozent, während Idaho mit 5,6 Prozent das Schlusslicht bildet.

Überschattet wird das alles von dem Chaos bei der Terminvergabe, überlasteten Buchungssystemen, die dem Ansturm schlicht nicht gewachsen sind. Vielen geht es wie Nora Gallina, einer Rentnerin aus Zephyrhills, einer Kleinstadt in Florida, die dem Sender PBS neulich ihr Leid klagte: Sie setze sich den ganzen Tag über, mindestens einmal pro Stunde, an ihren Laptop, um nachzuschauen, ob irgendwo ein Termin frei geworden sei, erzählte Gallina. "Ich würde alles nehmen, ob es frühmorgens um sechs ist oder erst in einem Monat oder viele Meilen entfernt. Hauptsache, es gibt irgendwas, womit ich planen kann."

Raucher und Nerzfarmer

Das Organisatorische liegt in der Hand der einzelnen Bundesstaaten, die Kriterien sind nicht überall gleich. In Washington, D.C., und in den Nachbarstaaten der Hauptstadt, in Maryland und Virginia, ist in der jetzigen Phase – theoretisch – jeder an der Reihe, der 65 oder älter ist. Ärzte und Krankenpfleger, die mit Covid-Patienten zu tun haben, werden überall bevorzugt. In New Jersey können Raucher, in Wisconsin Nerzfarmer damit rechnen, bald dranzukommen. In Metropolen wie New York, Los Angeles und Chicago rangieren Feuerwehrleute auf der Prioritätenliste weit oben – aus Sorge, dass die Personaldecke schnell bedenklich dünn werden kann, wenn eine Ansteckungswelle rollt.

In Los Angeles, wo sich im Dezember mehr als 200 der 3347 Beschäftigten des Fire Department mit dem Coronavirus infiziert hatten, geht Feuerwehrchef Ralph Terrazas inzwischen so weit, mit Prämien zu werben, um Impfskeptiker zu einem Sinneswandel zu bewegen. Wachen, die komplett "durchgeimpft" sind, winken tausend Dollar Belohnung. Hintergrund: Nur jeder zweite Feuerwehrmann in der schwer unter Sars-CoV-2 leidenden Megacity war bisher bereit, sich eine Spritze geben zu lassen.

Organisationspannen

Zum Frust, den das Organisationsdilemma verursacht, kommt der Eindruck, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe einmal mehr das Nachsehen haben. Die Corona-Todesrate unter schwarzen Amerikanern ist doppelt so hoch wie unter weißen, was die Prioritäten des Impfprogramms allerdings überhaupt nicht widerspiegeln.

In Washington etwa ist bisher über 17.000 Weißen, aber nur knapp 10.000 Schwarzen ein Vakzin injiziert worden, obwohl Weiße nur 42 Prozent und Afroamerikaner 45 Prozent der Bevölkerung bilden. Nicht zuletzt liegt es daran, dass Schwarze wie auch Latinos statistisch gesehen seltener über Zugang zum Internet verfügen.

Versuchskaninchen

Da das Gros der Termine online vergeben wird, geraten sie damit automatisch ins Hintertreffen. Vor allem bei älteren Jahrgängen liegt es aber auch an einer tiefsitzenden Skepsis, zurückzuführen auf Erfahrungen, die gerade Afroamerikaner mit medizinischen Experimenten machen mussten.

Das Kapitel Tuskegee wirkt bis heute nach. Benannt nach einer Kleinstadt in Alabama, gilt es in den USA als das krasseste Beispiel für Rassismus in der Medizin. Von 1932 bis 1972 wurde schwarzen Männern, die an Syphilis erkrankt waren, am Tuskegee Institute die Therapie verweigert, ohne dass man ihnen die Wahrheit sagte. Als wären sie Labormäuse, sollten sie eingehend beobachtet werden, um den "natürlichen" Verlauf der Krankheit zu studieren. (Frank Herrmann aus Washington, 3.2.2021)