Ein acht Milliarden teures Energieprojekt kurz vor Fertigstellung einzumotten klingt wie ein Schildbürgerstreich. Im Fall der Pipeline Nord Stream 2, die große Mengen Erdgas von Russland am Meeresboden nach Deutschland transportieren sollte, wäre es dennoch der richtige Schritt.

Die Pipeline Nord Stream 2 soll große Mengen Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren.
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Schon der Beschluss vor rund fünf Jahren, die ursprüngliche Nord Stream durch den Bau weiterer Röhren auszubauen, war ein politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Fehler. Konnte man die erste Pipeline noch als Beitrag zur Versorgungssicherheit rechtfertigen, weil es eine Alternative zu Gaslieferungen über die instabile Ukraine bietet, so gibt Nord Stream 2 Russland einfach zu viel Einfluss. Dazu kommt die Klimakrise, die alle Prognosen über steigende Nachfrage nach fossilen Brennstoffen über den Haufen wirft. Europa braucht Nord Stream 2 nicht.

Tatsächlich wurde das Projekt nicht nur von den USA, sondern auch von fast der gesamten EU abgelehnt. Außer Österreich, wo die OMV am Projekt beteiligt ist, steht kaum ein europäisches Land hinter der deutschen Pipelinepolitik.

Merkels Dilemma

Wahrscheinlich bereut Angela Merkel inzwischen den Bau, denn er behindert ihre Politik gegenüber dem Kreml. Die deutsche Kanzlerin ist nach dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny, seiner Verhaftung und Verurteilung sowie der immer brutaleren Unterdrückung der Protestbewegung zwar entschlossen, den Druck auf Präsident Wladimir Putin zu verstärken. Aber das einzig wirklich wirksame Druckmittel wäre ein Baustopp der fast vollendeten Pipeline – und davor schreckt Deutschland zurück. Das käme das Land auch wegen der rechtlichen Risiken sehr teuer.

Allerdings steigt der politische Preis von Tag zu Tag. Mit Frankreich hat sich nun der wichtigste europäische Verbündete gegen Nord Stream 2 ausgesprochen. Die massive Ablehnung im US-Kongress gefährdet den in Berlin ersehnten Neustart der transatlantischen Beziehungen unter Präsident Joe Biden.

Russland ist anders als China

Und je heftiger sich Putin gegen die Opposition auf den Straßen wehrt, desto weniger kommt Russland als Partner infrage. Die Trennung zwischen politischer Ablehnung und wirtschaftlicher Verflechtung mag bei China funktionieren, aber nicht bei einem Staat in unmittelbarer Nachbarschaft.

Ein Stopp von Nord Stream 2 würde Putins Gewaltherrschaft nicht beenden, aber es wäre ein lautes Signal, das in Moskau nicht unbemerkt bliebe. Und in ein paar Jahren könnten dann auch die deutschen Wirtschaftsbosse erkennen, dass sie gut ohne zusätzliches russisches Erdgas leben können. (Eric Frey, 3.2.2021)